Korrespondenz zum TabStMoG
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Antwort_Tabak Betriebsräte anonym
Lobbyismus existiert in vielfältigen Formen: fachlich informativ, hilfreich, dialogisch, aufdringlich, dezent, schmuddelig, garniert mit Geschenken, unanständig, egoistisch, entlang der Wahrheit oder gestützt auf Lügengeschichten… als Politiker:in erlebt man viel Ungewöhnliches.
Was sich am Mittwoch, den 21. April 2021, in einer Sitzungswoche abends abspielte, war aber doch selten aufdringlich, laut, gewaltig.
Innerhalb des befriedeten Bezirks, direkt zwischen Reichstag und Spree gab es eine „Kundgebung“. Bereits am 20. April wurde eine riesige Leinwand mit dazugehörigem Equipment zur Beschallung von Reichstag, Paul-Löbe-Haus und Jakob-Kaiser-Haus aufgebaut, die am Tag darauf auch bis in die Eingangshalle Ost des Reichstags zu hören war.
Am 22. April wurde alles wieder abgebaut. Die drei Hauptbotschaften der teuren Aktion:
Angemeldet war die Aktion vom Verband des eZigarettenhandels VdeH e.V. (nicht zu verwechseln mit dem Bundesverband Tabakwirtschaft und neuartiger Erzeugnisse BVTE). Hier haben also Unternehmen, die elektrische Zigaretten und Liquids herstellen oder verkaufen, einen Lobbyverband gegründet.
Wir haben es dabei mit Leuten zu tun, deren Geschäftsmodell darin besteht, Sucht zu verkaufen und häufig ärmeren Leuten via Sucht das Geld aus der Tasche zu ziehen, um sich solche Aktionen wie vor dem Reichstag leisten zu können. Und die Aktion diente dem Zweck, sich in die Gesetzgebung einzumischen, um Steuern zu sparen.
Worum geht es der Tabak- und Dampfindustrie?
Der vom Kabinett beschlossene Entwurf des Tabaksteuermodernisierungsgesetzes mit der schönen Abkürzung TabStMoG enthält Steueranpassungen und Steueranhebungen für Tabakprodukte:
Auf der eingangs erwähnten Veranstaltung zeigte sich erneut die Werbestrategie der Sucht-Lobby: es war die Rede von „gesünder als“, das Steuergesetz solle doch „im Gesundheitsausschuss beraten“ werden, Aussteigern aus der (selbst induzierten) Tabaksucht soll geholfen werden, Jugendliche und Kinder sollen nicht in die Sucht gelockt werden… fast eine Veranstaltung der Diakonie und Caritas.
Nichts zu hören war dagegen z.B. von der Bedeutung von Nikotinsalzen. Nikotinsalz ist einer der Stoffe in E-Liquids, stark krebserregend, hochtoxisch, also giftig. In den E-Liquids sind natürlich nur kleine Mengen, tote Kund:innen sind schließlich schlechte Kund:innen. Aber über die Langzeitschäden durch Dampfen mit Nikotinsalzen bei hohen Temperaturen hätten wir gern mehr erfahren.
So war es auch früher schon. Die Tabakindustrie hat darüber aufgeklärt, wie harmlos Nikotin ist, wie leicht die Zigarette light, wie Rauchen ein Zeichen von Freiheit (abgesehen vom Zwang zur Sucht), Geselligkeit (abgesehen vom Dreibettzimmer auf der Krebsstation) und Gemütlichkeit (weil man die Hautschäden im verrauchten Zimmer nicht so sieht) ist.
Auch die Sterberaten wurden verharmlost – schließlich gibt es vielfältige Umweltbelastungen oder schlechtere Produkte, die viel schlimmer sein können… Man suggerierte, ein gutes Produkt zu verkaufen, weil es noch schlechtere Produkte und andere Gefahren gäbe.
Und so ist es heute wieder: Dampfen ist viel gesünder als Rauchen, so wie es viel harmloser ist, aus dem fünften Stock zu springen als aus dem zwölften. Deshalb stoßen wir bei der Tabak- und Dampf-Lobby auch so oft auf den Begriff „harm reduction“ (Harm = Schaden oder Leid, reduction = Reduktion).
Auf der Veranstaltung vor dem Reichstag ging es also um Geld, darum, Druck auf die Politik auszuüben, die Steuern möglichst harmlos anzuheben. Denn eine immer wieder schrittweise Anhebung hat sehr viel geringere Chancen, die machtvolle Sucht der Konsumentinnen und Konsumenten zu durchbrechen. Anstatt den Abhängigen wirklich zu helfen, soll nach dem Willen der Industrie vielmehr der Umstieg auf wenig erforschte, also weniger schädliche, also gesunde heat-not-burn Produkte gefördert werden. Kluge Suchtprävention und –behandlung zielt aber auf den Ausstieg bzw. Nicht-Einstieg. Diese Industrie, stets „mittelständig“ genannt, zielt dagegen auf den Umstieg und schließlich den Parallelkonsum von Tabakzigaretten und E-Zigaretten. Man nimmt den Kunden von zwei Seiten in die Zange.
Mit den seit Jahrzehnten gleichen und ewig falschen Argumenten, die Steuer würde Arbeitsplätze vernichten, die Steuer führe in den Schwarzmarkt, soll uns Angst gemacht werden – vor einer kleinen Steuer. Und wenn Arbeitsplätze für Krankheit und Tod wegfallen, ist das prima, denn die hoch qualifizierten Arbeitnehmer:innen finden mühelos in seriösen Branchen neue Arbeit und haben dann sogar ein gutes Gewissen. Ob das überbezahlte, gewissenlose Management direkt eine Anschlussbeschäftigung findet, muss die größte Sorge nicht sein.
Eben jenes Management ist hinterhältig wie eh und je: Nicht Nikotinsalz, das 1,2 Propylenglykol E1520 und das Pflanzliche Glycerin (VG) bzw. die beim Erhitzen entstehenden, noch lange nicht erforschten gefährlichen Stoffe seien in ihrer Langzeitwirkung tödlich – nein: die „Nikotinsteuer kann tödlich sein“; so zu lesen auf der Website des VdeH e.V. am 19. April 2021 und auf einer gigantischen Plakattafel am 21. April direkt vor dem Reichstag:
Was steht auf den Zigarettenschachteln? „Rauchen kann tödlich sein“. So ein Zufall. Die Steuer ist so gefährlich wie das altmodische Rauchen und die Steuer verhindert die neuen dampfenden Gesundheitsprodukte. Was für eine infame Transformation. Muss künftig auf Steuergesetzen stehen: „Steuerzahlung kann tödlich sein“? Natürlich zielt auch diese Kampagne der Tabakindustrie trotz gegenteiliger Beteuerungen auf Jugendliche, um sie entweder von der einen Sucht (Rauchen) in die nächste Sucht (Dampfen) zu locken oder sie überhaupt erst als Neukund:innen abhängig zu machen. Denn im Alter von über 20 Jahren fallen nur noch sehr wenige Leute der Sucht anheim.
Die Tabaklobby hat die wahren Kosten der Nikotinschäden jahrzehntelang verschleiert und kleingerechnet. Im Nichtwissen der Kundinnen und Kunden wurde mutig weiter verkauft und geraucht… bis zur schrecklichen Diagnose und selbst dann ist die Sucht oft stärker.
Dieser Prozess wird jetzt offensichtlich erneut organisiert; es ist die Fortsetzung der Strategie, die die Tabakkonzerne seit langem tödlich erfolgreich fahren. Geschäftsführer des Bundesverband Tabakwirtschaft und neuartiger Erzeugnisse (BVTE) ist übrigens der ehemalige FDP-Bundestagsabgeordnete Jan Mücke. Hier zeigt sich, wie weit der dicke Lobbyarm der Tabakindustrie immer noch in die Exekutive und leider auch ins Parlament reicht.
Im Zuge der Kampagne gegen die Besteuerung von E-Zigaretten und Heat-not-burn Geräten werden nun auch einzelne Kolleginnen und Kollegen von der Tabak- und Dampflobby aufgesucht, um Gespräche gebeten, telefonisch bedrängt, um mit den unehrlichen Argumenten – Gesundheit, Freiheit, Arbeitsplätze, Schmuggel, gepanschte Liquids, etc. – bearbeitet zu werden, die Steuervorschläge für E-Zigaretten und Heat-not-burn aus dem Bundesfinanzministerium abzusenken. Dabei sind die Vorschläge aus dem BMF schon ein ärgerlicher Kompromiss. Es wäre mit Blick auf den Schutz der Jugend und der Sucht-Einsteiger – die sehr wichtig sind für das Geschäftsmodell: Gewinne aus der Sucht zu generieren – im Gegenteil notwendig, höhere Steuern zu erheben.
Zusammenfassung:
Falsch ist: „Nikotinsteuer kann tödlich sein“;
Richtig ist: „Rauchen kann tödlich sein“
Richtig ist: „Dampfen kann tödlich sein“
Auch wenn es in der CDU vorsichtige, in der CSU stärkere Bereitschaft gibt, über die Vorschläge der Lobby bzw. der Industrie nachzudenken… eine kluge und verantwortliche Politik darf sich solchem Druck nicht beugen.
Zum heutigen Weltnichtrauchertag lobt SPD-Bundestagsabgeordnete Lothar Binding den Durchbruch in den Gesprächen mit den Unionsfraktionen. „Nach einer jahrzehntelangen Blockade durch die Fraktionen von CDU und CSU ist die Einigung für ein Tabakwerbeverbot als Erfolg zu werten. Ein großer Erfolg für Rolf Mützenich“, so Binding. Wenngleich das geplante Gesetz noch Lücken aufweise, sei es – gemessen am Status quo – ein entscheidender Schritt, um Deutschlands Rückstand auf andere europäische Länder im Kampf gegen die Verführung der Jugend zum Rauchen zu verringern. Dass die Einigung keine Selbstverständlichkeit war, zeige beispielsweise die Argumentation der FDP im Plenum des Deutschen Bundestages, die den Lobbyisten der Tabakindustrie, die jährlich für über 120 000 Todesfälle allein in Deutschland verantwortlich zeichnen, 1:1 nach dem Munde redeten. Besonders dankte Binding in diesem Zusammenhang Ralph Brinkhaus an der Spitze der Unionsfraktion, der die Blockadehaltung seiner Kolleginnen und Kollegen habe überwinden können. „Dennoch dürfen wir nun nicht nachlassen“, erklärte der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. „In vielen Bereichen greift das geplante Gesetz zu kurz. Die Tabakkonzerne wollen auch weiterhin mit aller Macht durch Krankheit und Tod Gewinne machen. Um Werbung an Verkaufsstellen, um Sponsoring, um Kinowerbung müssen wir uns weiterhin kümmern.“ Gleichwohl sei das Gesetz zum Tabakwerbeverbot in Wahrheit ein Gesetz zum Schutz von Kindern und Jugendlichen und ein guter und wichtiger erster Schritt.
„Endlich, die Union hat den jahrelangen Widerstand gegen ein umfassendes Tabakwerbeverbot aufgegeben“, so der Finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Lothar Binding.
Von Januar 2021 an soll die Kinowerbung bei allen Filmen verboten sein, die für Jugendliche zugänglich sind. Ebenso ist die kostenlose Abgabe von Zigaretten, Dreh-Tabak und Wasserpfeifentabak außerhalb von Fachgeschäften verboten. Von Januar 2022 an soll es auch keine Tabak-Außenwerbung mehr geben.
Gemeinsam hätten Zigarettenindustrie und Wirtschaftspolitiker der Union das Gesetzesvorhaben über Jahre boykottiert, so der SPD-Abgeordnete. „Der unermüdliche Einsatz der Nichtraucherschutzorganisationen, medizinischer Fachgesellschaften und vieler Bürgerinnen und Bürger haben diesen Erfolg erst möglich gemacht“.
Bedauerlicherweise soll das Werbeverbot für Zigaretten erst in zwei Jahren gelten, kritisiert Binding. Gesundheitsschädliche Erhitzer und E-Zigaretten blieben, den Plänen zufolge, länger außen vor. Damit zeige die Union, dass Sie die Interessen der Tabaklobby „weiterhin fest im Blick hätte“. Auch viele Nichtraucherorganisationen beklagen, dass durch lange Übergangsfristen Unternehmen wie Philip Morris zu viel Zeit eingeräumt würde. „Sie können so ihre neuen süchtig machenden Produkte am Markt platzieren bevor das Werbeverbot auch für die E-Zigarette greift“, erklärte Binding.
Tabakwerbung wolle zum Qualmen verführen und lasse die Hemmschwelle gerade von Jugendlichen vor dem Nikotinkonsum sinken. „Die Freiheit der Zigarettenindustrie hat dort Grenzen, wo die Gesundheit von jungen Menschen auf dem Spiel steht“, gab Binding den Tabakunternehmen mit auf den Weg.
Binding hofft, trotz der langen Übergangsfristen, auf ein zügiges Gesetzgebungsverfahren. „Deutschland ist das letzte Land der EU in dem noch großflächig für Tabakprodukte geworben werden darf“.
Zur aktuellen Diskussion über ein Außenwerbeverbot für Tabakprodukte erklären die SPD-Bundestagsabgeordneten Rainer Spiering, landwirtschaftspolitischer Sprecher, Lothar Binding, finanzpolitischer Sprecher, und Dirk Heidenblut, drogenpolitischer Sprecher:
„Tabakwerbung an Plakatwänden und im Kino gehört ebenso wie die kostenlose Abgabe von Zigaretten bei Promotionaktionen schleunigst verboten, wie es schon jetzt in Funk und Fernsehen der Fall ist. Uns zuständige Fachpolitiker eint der Wille, dass wir nach Jahrzehnten der Tatenlosigkeit endlich vorankommen.“
Dazu ergänzt der SPD-Abgeordnete Rainer Spiering: „Leider scheiterte ein Entwurf aus dem Landwirtschaftsministerium kurz vor dem Ende der letzten Legislaturperiode am Widerstand der damaligen Fraktionsspitze der Union. Wir wollen das Heft des Handels aufnehmen und endlich etwas erreichen, denn gerade Kinder und Jugendliche sind besonders für Tabakwerbung empfänglich. Alle anderen EU-Länder sind uns hier einen Schritt voraus. Nachdem unsere Nachbarländer gehandelt haben, sollte der Bundestag nachziehen.“
„Auch die Tabakrahmenkonvention der Weltgesundheitsorganisation von 2005 verpflichtet die Vertragsstaaten, ein umfassendes Tabakwerbeverbot zu verhängen. Es ist beschämend, dass die Bundesrepublik Deutschland die Konvention bislang noch nicht vollständig umgesetzt hat. Bereits die erste Zigarette ist stark gesundheitsgefährdend. Mehr als 120.000 Menschen in Deutschland sterben Jahr für Jahr an den Folgen des Rauchens. So geht es nicht mehr weiter“, so der Bundestagsabgeordnete Lothar Binding weiter.
Der Abgeordnete Dirk Heidenblut schließt ab: „Das Deutsche Krebsforschungszentrum schätzt, dass rund 20 Prozent aller Krebsfälle durch das Rauchen verursacht werden. Laut Robert Koch-Institut ist bei etwa 90 Prozent der männlichen und 60 Prozent der weiblichen Lungenkrebserkrankten das Rauchen die Krankheitsursache. Das Rauchen ist aber auch ein bedeutender Risikofaktor für andere Krebsarten wie Kehlkopfkrebs oder Leukämie. Auch das Risiko für Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht sich durch Tabakkonsum.“