Um die SPD und ihre Bundestagskandidaten in den Wahlkreisen zu unterstützen, fährt Lothar Binding schon die vierte Woche mit seinem VW-Bus quer durch Deutschland. Im Gepäck hat er ein Glücksrad und natürlich seinen roten Zollstock. Heute ist er in Düsseldorf.

„Hallo, ich bin der Lothar Binding aus Heidelberg“, sagt der Wahlkämpfer. Der Bundesvorsitzende der AG SPD 60 plus, der Senioren-Organisation in der SPD, hat gerade seinen bunt beklebten VW-Bus geparkt und räumt nun den Kofferraum aus. Ein roter Tisch, ein Glücksrad und drei hohe Plexiglas-Röhren finden ihren Platz auf dem Asphalt. Das passiert in vielen Städten in Fußgängerzonen oder vor Einkaufszentren auf. „Wir hören zu und sprechen über unsere zukunftsfähige Politik mit Olaf Scholz“, sagt er. Neben vielen Broschüren packt Binding Kugelschreiber und die obligatorischen SPD-Gummibärchen aus.

Erste Passanten bleiben stehen und gucken zu. Manch einer dreht amüsiert ab und sagt: „Ich bin noch keine Sechzig“. Lothar Binding aber fängt ihn ein und erklärt, dass es in der Arbeitsgemeinschaft zwar viel Erfahrung gibt, gearbeitet werde aber für die Zukunft der Enkel und Kinder. „Die Rentner von heute können für ihre Vergangenheit nicht mehr viel erreichen, aber sie können politisch dafür sorgen, dass die Rente auch in Zukunft stabil bleibt und die Pflege ausgebaut wird“, erklärt er.

Für richtig Aufsehen sorgt Binding aber erst, als er seinen Lautsprecher in Betrieb nimmt. Der Finanzexperte der SPD-Bundestagsfraktion sagt: „Wir geben an unsere Enkel keine Schulden weiter, sondern eine gute Infrastruktur und zusätzlich auch die Vermögenstitel“ oder „Fast die Hälfte aller Deutschen hat überhaupt kein Vermögen“.

Wie das private Vermögen in Deutschland verteilt ist, erklärt Binding mit den drei Plexiglas-Röhren, die zum Teil mit kleinen bunten Plastikbällen gefüllt sind. Eine Röhre ist komplett voll und darauf steht „20 Prozent“. Die nächste Röhre ist nur zu einem Viertel gefüllt, darauf steht „80 Prozent“. In der dritten Röhre sind keine Bälle, darauf steht „Wir alle – der Staat“. Eine Zuhörerin lacht und moniert, dass die SPD nicht rechnen könne, oder die Röhren seien falsch beschriftet.

Binding legt nun los. Die volle Röhre symbolisiere die privaten Vermögen, die nur 20 Prozent der Bevölkerung gehöre, „drei Viertel“ erklärt er. Die restlichen 80 Prozent der Bevölkerung kämen auf viel weniger und zeigt auf die zweite Röhre „ein Viertel“. Jetzt nimmt Binding vier Bälle aus der vollen Röhre und wirft sie in die leere Röhre. Dann zeigt er auf die quasi immer noch volle erste Röhre und sagt: „Jetzt sieht man, wie die Vermögenssteuer wirkt, die Vermögenden sind total arm geworden und drohen damit Deutschland zu verlassen.“ Alle Zuhörer lachen.

Auch sein legendärer Zollstock kommt zum Einsatz. In seine Ausführungen streut er die eine oder andere Anekdote und spricht dabei über Einkommensgerechtigkeit. Die Stehengebliebenen wundern sich, denn viele verstehen den Begriff „Spitzensteuersatz“ danach zum ersten Mal. Dabei greift er die FDP an. Sie würden die Menschen „hinter die Fichte führen“, betont er. „Die behaupten allen Erstens in ihrem Wahlprogramm, ein Facharbeiter mit 56.000 Euro Bruttogehalts müsse heute den Spitzensteuersatz von 42 Prozent zahlen“. Das wäre natürlich unwahr, denn bei diesem Einkommen liege der Steuersatz bei ungefähr der Hälfte, weil Deutschland einen linear progressiven Tarif habe. Der Anstieg sowohl des Grenzsteuersatzes als auch des Durchschnittsteuersatzes erfolge kontinuierlich, erklärt er.

„Die Ideen der Aktion haben wir mit 60 plus Mitgliedern und dem Bundesvorstand selbst entwickelt“, erzählt Lothar Binding etwas später. Das sei ein Vorteil, wenn man lange in der Jugendarbeit aktiv war. So auch das Glücksrad, bei dem man nur gewinnen kann: Bleibt es bei einem bestimmten Begriff wie „Rente“, „Internet“ oder „Wohnen“ stehen, klappt Binding das obere Papier zur Seite und darunter kommt der jeweilige Inhalt aus dem SPD-Wahlprogramm zum Vorschein.

Los ging alles am 16. Juli in Offenburg. Über Stuttgart, München, Erlangen, Dresden, Leipzig und Magdeburg ging es nach Berlin, dann über Hamburg nach Norden in Ostfriesland und schließlich in Richtung Nordrhein-Westphalen. „In Augsburg, sonntags um 9:00 hat sich ein längerer Vortrag über Steuern und den Sinn von Staatsschulden ergeben.“ berichtet Lothar Binding. Bei Weißwurst- und Weißbierfrühstück, wollten die über 50 Zuhörer immer mehr erfahren.

Die insgesamt vierwöchige Tour – zwei Wochen im Juli, zwei weitere Ende August – ist ein Beitrag der AG 60plus zum SPD-Bundestagswahlkampf. Binding hat die Tour konzipiert, das Standdesign entwickelt und fährt auch den roten Bus meist selbst. Nur eine Unterstützung für die Social-Media-Arbeit hat er dabei. Und vor Ort – in jeder Stadt kommen die Aktiven der Arbeitsgemeinschaft, stehen Rede und Antwort und verteilen Informationen. Es ist das erste Mal, dass die AG SPD 60 plus eine solche Städte-Tour macht. Am Ende werden es 66 sein.

„Wir freuen uns sehr, dass du da bist“, begrüßt Andreas Rimkus Binding etwas später. Er ist ein Düsseldorfer MdB und kandidiert im September wieder für den Bundestag. In einem kurzen Video-Interview befragt ihn Binding zu seinen Zielen. „Bei der Tour geht es nicht um die AG 60 plus oder um mich, es geht um die Kandidaten vor Ort“, erklärt Binding, der selbst nicht wieder für den Bundestag antritt. Er bietet nun anderen eine Bühne und einen Anlass, ihren Arbeits-Schwerpunkt öffentlich vorzustellen.

Zwischendurch hat Lothar Binding an einem Marktstand in der Nähe noch Blumen gekauft und verteilt nun knallrote Moosröschen an Passanten. „Das ist immer eine gute Gelegenheit ins Gespräch zu kommen“, verrät er. Nach etwas mehr als zwei Stunden und vielen Gesprächen packt Binding seine Sachen wieder in den roten Bus. Er muss auf die Straße. Am Nachmittag steht der nächste Termin in Mönchengladbach an.