Das Verteidigungsministerium unter Annegret Kramp-Karrenbauer dringt auf eine Bewaffnung der Aufklärungsdrohnen der Bundeswehr. Das würde eine gefährliche Eskalationsspirale in Gang bringen.
Deutschland, Europa, ja, die ganze Welt ächzt unter den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Belastungen durch die Corona-Pandemie. Währenddessen bemüht sich das Verteidigungsministerium um eine Bewaffnung der in der Bundeswehr bisher lediglich für Aufklärungsmissionen eingesetzten Drohnen.
Im Einklang mit dem Beschluss des SPD Parteivorstands aus dem Jahr 2013 lehnt die AG SPD 60 plus eine Bewaffnung von Drohnen weiterhin ab. Es geht hierbei nicht „nur“ um die Aufrüstung der sogenannten Unmanned Aerial Vehicles (UAV), der unbemannten Fluggeräte, also Drohnen. Es geht auch nicht „nur“ um die neuen Möglichkeiten extralegaler, also außergesetzlicher Tötungen. Vielmehr ist die Diskussion Teil der übergeordneten Fragen, wie sich die Bundesrepublik Deutschland in einer sich weltweit stark wandelnden Sicherheitsarchitektur sehen möchte.
Welchen Weg wollen wir auf der Suche nach einer friedlichen Welt einschlagen? Wollen wir eines der Länder sein, die sich offensiv militärisch engagieren? Oder wollen wir ein friedenliebendes, ein friedenförderndes Deutschland sein und bleiben, ein Land, das sich seiner historischen Verantwortung bewusst ist und eine glaubhafte internationale Plattform für diplomatische Gespräche sein kann? Wie sollen wir das noch sein, wenn sich deutsche Pilot*innen (am Bildschirm) durch die Nutzung von unbemannten bewaffneten Kampfdrohnen nicht mehr von Pilot*innen aus aller Welt unterscheiden lassen – extralegal?
Vielfach wird in der Debatte ein altbekanntes Argumentationsmuster bemüht: Die weltweite Militärausrüstung und Ausstattung der Armeen bewege sich sowieso immer weiter in Richtung Automatisierung und deshalb könnten wir uns auch beteiligen. Wer nicht mitmacht, geht unter, so die Botschaft. Diese Logik entspricht im Kern der Logik des Kalten Krieges, der gegenseitigen Abschreckung durch Aufrüstung und liegt auf dem Niveau der atomaren Bewaffnung Nordkoreas.
Kluge Abrüstungs- und Friedenspolitik durchbricht diese sich selbst bestätigende Aufrüstungsspirale immer wieder. Dass es möglich ist, effektive Schritte in Richtung Abrüstung zu gehen, zeigt das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes von ABC-Waffen, also atomarer, biologischer und chemischer Waffen. Um weitere Schritte in Richtung einer friedlicheren Welt zu gehen, ist Aufrüstung maximal kontraproduktiv. Vielmehr ist es notwendig, dass wenigstens ein Industrieland den Anfang macht und mit der Bewaffnung von Drohnen gar nicht erst beginnt.
Natürlich wird als Grund für die Aufrüstung der Schutz der Soldat*innen genannt, oft genug vorgeschoben. Wer würde dem auch widersprechen? Selbstverständlich verdienen Menschen, Soldat*innen, die bereit sind, ihr Leben einzusetzen, den bestmöglichen Schutz – dazu zählt auch die Aufklärung mit Drohnen. Eine Bewaffnung von unbemannten Fluggeräten hat aber nichts mehr mit dem Schutz unserer Soldat*innen, nichts mit Verteidigung zu tun, auch wenn konservative Kreise das gerne so behaupten. Es sei denn, man folgt der Logik, dass Angriff die beste Form der Verteidigung sei. Ein Schild dient eben der Verteidigung, ein Schwert dem Angriff. Die Bewaffnung von Aufklärungsdrohnen wird zum offensiven Akt und schafft die Möglichkeit von Präventivschlägen.
Wir schaffen für sehr viel Geld immer neue Waffensysteme an, die sich mit trauriger Regelmäßigkeit als nicht einsatzfähig herausstellen. Statt diesen Weg weiterzugehen, sollte das Verteidigungsministerium lieber seinen Beitrag dazu leisten, dass Deutschland ein Land wird, das (schwierigen) internationalen Gesprächen eine Heimat bietet.
Unbemannte Systeme senken die Hemmschwelle für Grenzüberschreitungen und damit auch für Souveränitätsverletzungen. Sie sind – wie andere Waffensysteme auch – nicht ethisch neutral, weil sie beeinflussen, wie unsere Handlungsmöglichkeiten wahrgenommen werden.
Der Einsatz von bewaffneten Drohnen bedeutet den Übergang von Friedensmissionen in aktive Kampfmissionen, den Schritt von einer Schutzbedeutung deutscher Soldat*innen für einheimische Zivilist*innen hin zu einer potentiellen Bedrohung.
Im Koalitionsvertrag haben SPD, CDU und CSU vereinbart, dass „über die Beschaffung von Bewaffnung [für Drohnen] der Deutsche Bundestag nach ausführlicher völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung gesondert entscheiden wird.“ (Koalitionsvertrag, S.159) In Mitteilungen der Verteidigungsministerin lesen wir nun, dieser Würdigung sei durch eine einzelne öffentliche Anhörung im Verteidigungsausschuss Genüge getan. Eine „ethische Würdigung“ militärischer Aufrüstung braucht eine aber breite, öffentliche Debatte.
Im Koalitionsvertrag heißt es außerdem: „Rüstungskontrolle und Abrüstung bleiben prioritäre Ziele deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. […] Deutschland wird deshalb neue Initiativen für Rüstungskontrolle und Abrüstung ergreifen.“ (Koalitionsvertrag, S.148) Warum es konservativen Politiker*innen schwerfällt, in diesen Zeilen einen Widerspruch zu der Bewaffnung von Drohnen der Deutschen Bundeswehr zu sehen, bleibt ihr Geheimnis.
Kluge Politik denkt langfristig und erkennt Wirkungszusammenhänge, die im Falle der Bewaffnung von Drohnen zu einer Autonomisierung von Waffen führt. Denn was werden die Befürworter*innen im nächsten Schritt fordern, wenn sie feststellen, dass es trotz – oder gerade wegen – der Bewaffnung der Drohnen auch weiterhin Bedrohungsszenarien für unsere Soldat*innen gibt? Die nächste Forderung wird lauten, die Kampfdrohnen effektiver zu machen, indem sie die Bedrohungslage eigenständig analysieren und Handlungsempfehlungen an Piloten und Pilotinnen abgeben. Das bedeutet also, Abwägungen, die auch heute nur Menschen treffen können und sollten, an Maschinen zu delegieren. Auch das widerspricht dem Koalitionsvertrag: „Autonome Waffensysteme, die der Verfügung des Menschen entzogen sind, lehnen wir ab. Wir wollen sie weltweit ächten. Deutschland wird auch künftig für die Einbeziehung bewaffneter unbemannter Luftfahrzeuge in internationale Abrüstungs- und Rüstungskontrollregime eintreten.“ (Koalitionsvertrag S.149)
Konservatives Sicherheitsverständnis definiert sich auch weiterhin über Abschreckung durch Aufrüstung. Sozialdemokratische Politik setzt dagegen auf Dialog, auf internationale Kooperation und Wandel durch Annäherung.
Lothar Binding
Bundesvorstand der AG SPD 60 plus
Mitarbeit: Paul von Neumann-Cosel