Zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) soll Deutschland in sein Militär stecken, fordert die NATO. Deutschland hat diesem Ziel selbst zugestimmt. Auf den NATO-Gipfeln zwischen 2002 und 2014 haben die Bündnisstaaten vereinbart, sich auf den Richtwert von zwei Prozent zuzubewegen. Schade, dass die Bündnisstaaten nicht vereinbart haben, dass sich alle ihre Regierungen der Demokratie verpflichten…

Das Bundeskabinett (nicht das Parlament) hat am 13. Juli 2016 das „Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“ beschlossen. Es ist hier zu finden. Dort heißt es auf S. 67: „In der NATO ist eine Verstetigung der Investitionen im Verteidigungsbereich mit einer langfristigen Annäherung an das Ziel von zwei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsproduktes vereinbart. Deutschland bleibt diesem Ziel im Rahmen seiner finanzpolitischen Rahmenbedingungen und Ressourcen verpflichtet.“

Die besten „Investitionen im Verteidigungsbereich“ sind aber präventive Aktivitäten, vorbeugende Aktivitäten um Krieg zu vermeiden: Eine neue Friedensdiplomatie, der sukzessive Abbau der Rüstungsexporte, Armutsbekämpfung (nicht nur) in den Ländern des Südens, Schutz des Klimas, von Umwelt und Natur etc. Leider findet sich im Weißbuch zur Sicherheitspolitik wenig zu nichtmilitärischer Friedenssicherung bzw. zu den dafür zu veranschlagenden Kosten. Ich bin kein Freund von derlei Indexierung – „2 % vom BIP“. Aber wenn man schon „zwei Prozent“ sagt, sollten auch die Kosten für jene Aktivitäten veranschlagt werden, die den Verteidigungsfall weniger wahrscheinlich machen. Das ist wichtig, weil auch nach einem gewonnenen Krieg im Regelfall alles kaputt ist.

Gegenwärtig (2018/2019) machen die Rüstungsausgaben in Deutschland „nur“ 1,2 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus, also 39,6 Milliarden Euro – im reduzierten Verständnis des Weißbuchs. Die absoluten Kosten tauchen im Bundeshaushalt übrigens nicht als aggregierter Wert auf, sondern sind auf verschiedene Haushaltsstellen verteilt.

Und wer, wenn nicht Donald Trump, sollte uns regelmäßig auf die unerreichten zwei Prozent (in seinem Verständnis) hinweisen? Allerdings fällt es mir schwer das Urteil eines Präsidenten Trump zum Maßstab meines Handelns zu machen. Und wahrscheinlich sind Deutschland und Europa gut beraten, dies auch nicht zu tun.

Gegen die zwei Prozent spricht eine Reihe von Gründen. Zunächst handelt es sich bei der NATO-Vereinbarung um einen Richtwert, der, wenn überhaupt, politisch bindend ist. Niemand kann Deutschland verklagen, wenn dieses Ziel nicht erreicht wird. Konsequenzen könnten eher politischer Art sein, wenn NATO-Bündnispartner mit Deutschland nicht mehr so gut wie heute zusammenarbeiten.

Schauen wir als Zweites auf die absoluten Zahlen, wird der Sachverhalt anschaulicher: 2017 erwirtschaftete Deutschland ein BIP von rund 3,3 Billionen Euro. Hätte Deutschland schon 2017 das 2-Prozent-Ziel erfüllen wollen, hätten das auf einen Schlag Mehrausgaben in Höhe von 26 Milliarden Euro bedeutet. Insgesamt wären das mehr als 65 Milliarden Euro, oder anders: 20 % vom Bundeshaushalt. Das wäre nicht nur finanziell bzw. fiskalisch unverantwortlich, die Rüstungsindustrie wäre schlicht überfordert gewesen. Für eine so massive Aufrüstung fehlen der Bundeswehr auf absehbare Zeit Soldatinnen und Soldaten und den Rüstungsherstellern Produktionskapazitäten.

Drittens sollten wir mehr betrachten, als die reinen Zahlen und fragen, was mit den Mitteln passiert. In der Schulpolitik würde ja auch niemand mit Haushaltsauszügen um sich werfen, sondern konkret mit Lehrerstellen und Schulsanierungen argumentieren. Eine alleinige Fixierung auf das leere 2-Prozent-Ziel nimmt der Bundeswehr jeglichen Anreiz für Qualitätssteigerungen. Viel sinnvoller erscheint es mir, auf europäischer Ebene stärker zusammenzuarbeiten und durch gemeinsame Beschaffung und Zusammenarbeit, durch eine neue Qualität von Prävention, „mehr fürs Geld“ zu bekommen.

Viertens dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, worum es bei der gesamten Diskussion eigentlich geht: Den deutschen Beitrag zu weltweiter Sicherheit und Stabilität, den die NATO-Partner zu Recht von uns einfordern. Bei einigen Politikerinnen und Politkern heißt „mehr Verantwortung“ nun gleich „mehr Waffen“. Das ist ein Trugschluss. Militärische Initiativen können nur in sehr begrenztem Umfang zur Deeskalation von Krisenherden beitragen. Ich habe oben schon darauf hingewiesen, dass Investitionen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, der Krisenprävention, humanitärer Hilfe, aber auch auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik deutlich nachhaltiger wirken.

In den Koalitionsverhandlungen haben SPD und Union daraus Konsequenzen gezogen: Mehrausgaben für die Bundeswehr erfolgen nur noch unter der Bedingung, dass der gleiche Geldbetrag in die genannten nicht-militärischen Handlungsfelder fließt. Daneben baut Deutschland seine Rolle als Krisenvermittler auf dem Feld der Diplomatie weiter aus. So übernimmt die Bundesrepublik tatsächlich Verantwortung:

  • Für Frauen, Kinder und Männer in Kriegs- und Krisengebieten, denen durch humanitäre Hilfen und Prävention die Lebensgrundlage gesichert wird.
  • Für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, deren gefährliche Aufgabe nicht durch veraltete Technik weiter erschwert wird.
  • Für die NATO-Bündnispartner, an deren Seite wir zu stabileren Verhältnissen weltweit beitragen.

Rüstungspolitischer Aktionismus ist ebenso wenig gefragt wie eine Symbol-Debatte um Prozentzahlen. Langfristig sollte unsere Priorität bei stetig enger werdenden weltweiter Kooperation und Abrüstung liegen: statt mehr Waffen, weniger Waffen. Am 2%-Ziel festzuhalten ist dafür kontraproduktiv. Frieden und Friedenssicherung brauchen andere politische Kategorien.