Von der Sucht nach Schokolade – Werte leben. Werte raffen. Leben zerstören
Sehr geehrter Herr Blohm, sehr verehrte Frau Schröder, sehr geehrter Herr Nati,
vielen Dank für Ihre Weihnachtskarte, die mich sehr irritiert hat. Sie schreiben „Wir wünschen Ihnen und Ihrer Familie frohe Weihnachten und ein glückliches, erfolgreiches Jahr 2012. Und uns allen wünschen wir eine Zukunft, in der wir auch ohne Bevormundung durch die EU selbst bestimmten, was wir genießen wollen und was nicht – egal, ob es nun um Schokolade geht, um Cigaretten oder um unsere Entscheidungsfreiheit.“ Auf der Karte ist ein Weihnachtsmann aus Schokolade abgebildet, auf dem der Spruch steht „Schokolade fördert Karies“.
Ihre hinterhältige Marketingstrategie ist vielen Menschen längst bekannt: Sie stellen ironisierend einen Zusammenhang zwischen Schokolade und Nikotin bzw. krebserregenden Stoffen und dem schwer gesundheitsschädigenden Rauchen her. Mit Ihrer Anspielung „Weihnachtsmann“ wollen Sie die Kinder verführen. Vielleicht wissen Sie, dass nur Vergleichbares mit Vergleichbarem sinnvoll verglichen werden kann. Sie wollen Ihr Produkt verharmlosen und die Betroffenen auf eine schier aberwitzige Art und Weise verhöhnen. Dabei denke ich an die erkrankten Menschen, an die Angehörigen, die möglicherweise zu Weihnachten mit der todbringenden Diagnose „Krebs“ umgehen müssen. Ich denke auch an die zahllosen im Gesundheitswesen tätigen Onkologen, Kardiologen, Pneumologen, Allgemeinmediziner, Krankenschwestern, an die Pflegerinnen und Pfleger in den Hospizen, etc., etc., deren im hohen Maße belastende Arbeit Sie ganz frech ins Lächerliche ziehen.
Bitte verstehen Sie mich richtig, ich schätze die Tätigkeit von Zahnärztinnen und Zahnärzten sehr – aber die Gefahren durch Zigaretten Krebs zu bekommen mit den Gefahren durch Schokolade Karies zu bekommen gleich zu setzen benötigt schon ein gehöriges Maß an Skrupellosigkeit – zur Weihnachtszeit.
Die wissenschaftlichen Belege zu den Gefahren des Rauchens sind Ihnen bekannt. In einer Information der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung heißt es wörtlich: „Das Krebsrisiko von Raucherinnen und Rauchern ist insgesamt verdoppelt, durch starkes Rauchen steigt es bis auf das Vierfache. Besonders eng ist der Zusammenhang zwischen Rauchen und Tumoren der Bronchien bzw. Lunge, des Kehlkopfes, der Mundhöhle sowie der Speiseröhre. Zirka 80-90 % aller an diesen Krebsarten Gestorbenen rauchten…“ Weiter hinten heißt es „In Deutschland sterben jährlich 110 000 bis 140 000 Menschen an den Folgen des Rauchens.“
Stil und Inhalt Ihrer Karte verraten ein wenig über Sie und das Unternehmen Reemtsma: Es geht um mehr als eine Milliarde Euro, die allein Ihr Unternehmen durch rauchende Menschen im Jahr umsetzt. Bezahlen müssen das insbesondere die Menschen, die nicht viel Geld zur Verfügung haben und schlechter gebildet sind. Sozialer Status und Rauchen stehen im engen Zusammenhang. Der Ärmere bezahlt die Manipulation gegen sich selbst auch noch aus dem eigenen Portemonnaie. Ein zynischer Vorgang.
Über den Begriff „genießen“ lässt sich nicht streiten. Das ist Geschmackssache. Ich kenne viele Menschen, die die karzinogene, nach kaltem Rauch stinkende Ausatmung von Rauchern nicht mögen, auch beim Küssen kommen einem die karzinogenen Moleküle in den Kopf. Nervosität, zum Teil schwerste Abhängigkeit, schlechte Haut und gelbe Zähne, Geldknappheit, stinkende Kleidung und Krebs runden das bekannte Bild rund um Ihre Produkte ab.
Ich begegne übrigens sehr vielen rücksichtsvollen Raucherinnen und Rauchern, die sich Ihrer Verantwortung gegenüber den Mit¬menschen sehr bewusst sind und auf eine Zigarettenlänge selbstverständlich an die frische Luft gehen. Viele sagen mir, dass sie lieber heute als morgen von der Sucht loskommen wollen. Von Freiheit und Selbstbestimmung könne dabei leider keine Rede sein, zu häufig müssen einige Anläufe dafür genommen werden. Und das Verlangen nach einer Zigarette bleibt noch lange bestehen.
Bisher ist mir noch nicht aufgefallen, dass Tabakmanagerinnen und Manager nach kaltem Rauch stinken, gelbe Zähne haben und im Gespräch den Eindruck vermitteln, möglichst bald wieder eine rauchen zu müssen. Aus diesem Grund mache ich mir um Sie weniger Sorgen. Sollte ich mich allerdings getäuscht haben, hoffe ich sehr, dass Sie nicht eines Tages heftig an mich denken müssen.
Manchmal erhalte ich Post von Bürgerinnen und Bürgern, die mir vor einigen Jahren geschrieben haben und die heftig gegen einen besseren gesetzlichen Schutz vor Passivrauchen waren. Inzwischen hat sich ihre Meinung geändert. Leider erst nach der schrecklichen Diagnose.
Ich wünsche Ihnen für 2012 viele Ideen für gute Vorsätze und vor allem Gesundheit – weder Karies noch Krebs.
Mit freundlichen Grüßen
Lothar Binding