Wissen Sie, wie viel Ihre Frisörin verdient? Ob Sie in den Salon einer großen Kette oder ins Frisierstübchen an der Ecke gehen, ist dabei unerheblich. Gut möglich, dass Ihre Frisörin nach getaner Arbeit Anträge ausfüllt und zu Behörden geht, weil sie ihr Einkommen „aufstocken“ muss. Das heißt, dass sie ergänzende staatliche Hilfen in Anspruch nehmen muss. Damit wäre sie eine von 1,3 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, deren reguläre Erwerbstätigkeit nicht zum Leben reicht. Der Anteil erwerbstätiger Arbeitslosengeld-II-Bezieher an allen erwerbsfähigen Leistungsempfängern betrug laut einer Auskunft der Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2012 über 30 %.
Bestimmte Geschäftsmodelle basieren darauf, dass Menschen ausgebeutet werden. Wer aber auf Dauer am Markt bestehen will, soll anständige Arbeitsbedingungen und gerechte Löhne bieten. Allerdings muss auch dem Verbraucher klar sein: wer nur 10 Euro für einen Haarschnitt zahlen möchte oder 5 Euro für ein paar Schuhe, kauft eine Dienstleistung oder ein Produkt, das weder unter gerechten Bedingungen noch mit einer fairen Entlohnung erbracht worden sein kann.
Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung bekamen 19,2% aller Beschäftigten im Jahr 2012 einen Stundenlohn von unter 8,50 Euro die Stunde und 5 % sogar einen Stundenlohn von unter 5 Euro. Insgesamt hat das zu seinem System der „Lohndrückerei“ geführt, bei dem Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer kaum Verhandlungsspielraum haben, wollen sie nicht arbeitslos werden. Das Absurde dabei: dieser Form der „Lohnfindung“ fand nicht selten dort statt, wo die Unternehmen politisch auf einen „fairen Wettbewerb“ pochten – ohne denjenigen, denen sie ihr Produkt oder ihre Dienstleistung verdankten, eben diesen „fairen Wettbewerb“ zu bieten.
Für uns ist die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde daher zentral. Zum 1. Januar 2015 schließen wir zu unseren europäischen Nachbarn auf – bereits 21 der 28 EU-Mitgliedstaaten haben einen Mindestlohn, wenngleich in sehr unterschiedlicher Höhe. Damit wollen wir das Einkommen von mehr als 3,7 Millionen Beschäftigten in Deutschland verbessern, damit sie in Zukunft von ihrer Arbeit auch leben können. Im Vorfeld hatte dies bereits den Effekt, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sich deutlich kompromissbereiter an den Verhandlungstischen zeigten, an denen sie lange Zeit tarifliche Vereinbarungen verweigert hatten.
Der Mindestlohn von zunächst 8,50 Euro gilt ab dem 1. Januar 2015 – für alle volljährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, flächendeckend und in allen Branchen.
Bestimmte Berufsgruppen sollen nicht unter die Mindestlohnregelung fallen:
1. Jugendliche unter 18 Jahren ohne Berufsausbildung – damit sie nicht einen Job annehmen, bei dem sie den Mindestlohn bekommen …dann aber keine Ausbildung mehr machen
2. Auszubildende
3. ehrenamtlich Tätige, weil sie nicht als Arbeitnehmer gelten
4. Absolvierende von Pflichtpraktika sowie Praktika von bis zu drei Monaten, die einen Ausbildungs- oder Studienbezug haben. Das hat einen guten Grund, denn bei ihnen steht der Lerneffekt im Vordergrund, deshalb darf es für sie andere Regeln geben. Voraussetzung ist, dass sie nicht immer wieder an derselben Stelle abgeleistet werden. Übersteigt die Dauer einen Zeitraum von drei Monaten, dann gilt der Mindestlohn auch für Orientierungs- und freiwillige Praktika. Für Praktika nach einer Berufsausbildung oder einem Studium gilt ohnehin der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Außerdem muss zukünftig für Praktika ein schriftlicher Praktikumsvertrag abgeschlossen. Das soll dafür sorgen, dass die Ausbeutung der Praktikantinnen und Praktikanten, bei der sie (unbezahlt) reguläre Beschäftigte ersetzen, endlich aufhört. In Zukunft werden dann das Ausbildungsziel, die Dauer und unter anderem auch die Arbeitszeiten schriftlich fixiert.
5. Langzeitarbeitslose während der ersten sechs Monate nach Arbeitsaufnahme – vorerst. Bis zum 1. Juni 2016 wird geprüft, ob durch diese Ausnahmeregelung die Chancen auf einen Wiedereinstieg ins Arbeitsleben steigen. Natürlich behalten tarifvertragliche Regelungen ihre Gültigkeit – wenn ein Tariflohn vereinbart ist, werden sie den auch bekommen.
In drei Bereichen gibt es eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2016:
1. Falls Lohnuntergrenzen bereits bestehen. Diese gibt es bereits auf der Grundlage des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes bei Leiharbeit oder des Arbeitnehmerentsendegesetzes im Rahmen von Branchenmindestlöhnen. Im Arbeitnehmerentsendegesetz waren bislang die einzelnen Branchen aufgelistet, die durch dieses Gesetz reguliert wurden. Diese Liste wurde nun für alle Branchen geöffnet, so dass auch dort zwingende Arbeitsbedingungen, v.a. im Hinblick auf Lohn, Urlaubsanspruch, Arbeits- und Gesundheitsschutz und Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, festgeschrieben werden können. Doch auch hier wird der Mindestlohn ab dem 1. Januar 2017 uneingeschränkt gelten.
2. Zeitungszustellerinnen und -zusteller. Bei ihnen darf die Entlohnung den Mindestlohn im Jahr 2015 um maximal 25 % unterschreiten, im Jahr 2016 nur noch um 15 %. Ab 2017 wird auch hier der gesetzliche Mindestlohn gelten.
3. Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft. Hier wird der Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro ab dem 1. Januar 2015 zwar gelten. Allerdings wird die bereits vorhandene Möglichkeit der kurzfristigen sozialabgabenfreien Beschäftigung von 50 auf 70 Tage erhöht. Diese Regelung ist jedoch auf vier Jahre befristet, also bis zum 31. Dezember 2018. Die Abrechnung der Kosten für Kost und Logis wird vereinfacht und darf nur zu einem angemessenen Teil dem Lohn angerechnet werden.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – deshalb wird es einige flankierende Maßnahmen geben, damit der Mindestlohn auch eingehalten wird. So sollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anhand ihrer Lohnabrechnung erkennen können, ob der Mindestlohn gezahlt wird. Ferner wird eine Hotline eingerichtet, wo Verstöße gemeldet, aber auch grundsätzlich Informationen eingeholt werden können. Die Kontrolle liegt wie bisher bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Bundeszollverwaltung. Hier werden 1.600 neue Stellen geschaffen. Verstöße gegen das Mindestlohngesetz können mit bis zu 500.000 Euro Bußgeld geahndet werden.
Kritikern möchte ich entgegenhalten, dass ein höheres Einkommen immer auch die Kaufkraft erhöht und damit die Konjunktur ankurbelt – das sollte auch den Unternehmen verständlich sein, die sich jetzt noch mit aller Macht dagegen zur Wehr setzen und den Untergang ihrer Betriebe voraussagen, wenn Menschen für ihre Arbeit angemessen bezahlt werden. Dabei ist die Rechnung ganz einfach: höhere Löhne – steigende Binnennachfrage – stabilere Konjunktur.
Entsprechend einer Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) wird für 2014 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 1,8 % und für 2015 von 2,3 % erwartet. Nach Meinung der Experten trägt die Inlandsnachfrage nicht unerheblich zu dem Aufschwung bei – für die wiederum ist das verfügbare Einkommen ein wesentlicher Faktor, also insbesondere die Bruttolöhne. Hier kommt der Mindestlohn ins Spiel: Ökonomen gehen davon aus, dass der direkte Effekt auf die Bruttolohnsumme bei etwa 1 % liegt.