Lothar Binding, April 2018
Die Arbeitsgemeinschaft 60 plus in der SPD begrüßt die im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU/CSU beschlossenen Punkte für die Seniorinnen und Senioren in unserem Land. Er hat das Ziel, den älteren Menschen ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Insbesondere sollen Altersdiskriminierung beseitigt und Vereinsamung bekämpft werden. Das ist sehr gut. Viele kleine Vorhaben und Reformen werden das Leben in Zukunft erleichtern und die Würde der Menschen nicht mehr verletzen, weil Zeit, Geld oder helfende Hände fehlen.
Jeder Kompromiss schließt beide Seiten mit ein: doch große Zukunftsreformen, wie etwa die Bürgerversicherung in der Gesundheitsvorsorge oder die Beschäftigtenversicherung in der Altersvorsorge aber auch ein halbwegs gerechteres Steuersystem, große Vorhaben zum Schutz von Umwelt und Natur oder Veränderung im Sozialgesetzbuch II (ALG II) waren mit dem Koalitionspartner Union nicht zu machen. Zu Verlockend ist die Kameraderie mit dem Großkapital. So manches Verhandlungsergebnis folgt eben doch auch den Wahlergebnissen. Genug getrauert.
Gleichwohl: Das Positive, das Konkrete für die nächsten Jahre überwiegt. Eine Kernforderung von uns Älteren, ein großer Wunsch: möglichst lange in den eigenen vier Wänden wohnen zu können. Durch eine KfW-Förderung wollen wir dies möglichst vielen Menschen ermöglichen. Wer aber nicht mehr zu Hause wohnen kann oder will, der soll zwischen verschiedenen Wohnformen wählen können. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Mehrgenerationenhäusern und der Förderung von Seniorengenossenschaften.
Wer auf häusliche oder stationäre Pflege angewiesen ist, soll in Zukunft von verbesserten Rahmenbedingungen in der Pflege profitieren. Neben der Schaffung von 8.000 neuen Stellen in der medizinischen Behandlungspflege (wohl gemerkt: medizinische…) soll auch die Gesamtsituation in der Pflege verbessert werden. Dazu zählt auch eine Entlastung pflegender Angehöriger zuhause, etwa durch die Förderung für haushaltsnahe Unterstützungsdienstleistungen. Eine Reform des Betreuungsrechtes soll eine verbessertes Selbstbestimmungsrecht gewährleisten und Ehepartnern die Möglichkeit geben, medizinische Entscheidungen zu treffen, auch wenn noch keine Vorsorgevollmacht vorliegt.
Wer noch gut unterwegs ist und nicht aus dem Erwerbsleben ausscheiden möchte, soll durch Änderungen der Flexi-Rente gefördert werden.
Bildung und Senioren? Ein großes Thema. Bildung ist seit jeher unser Kernanliegen, zentrales Anliegen der SPD und dazu zählt natürlich auch das lebenslange Lernen. Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen, Menschen in jedem Alter und jeder Lebenslage die Möglichkeit zur (Weiter-)Bildung zu geben. Große Hoffnungen legen wir dabei auf die fortschreitende Digitalisierung. Geplant sind eine „digitale Bildungsoffensive“ und der Aufbau einer „nationalen Bildungsplattform“. Ein weiteres Augenmerk soll auf der verstärkten Unterstützung zur Verbesserung der Medienkompetenz für Ältere sein. Ob Volkshochschulen, Silversurfer oder andere Bildungsträger, sie bieten nicht nur niedrigschwellige Angebote für Interessierte, sondern ermöglichen es auch Seniorinnen und Senioren als Lehrer*in ihr Wissen weiterzugeben.
Zum Schutz vor Altersarmut konnten wir erreichen, dass das Rentenniveau vorerst bis 2024 auf 48% fixiert wird und Arbeitnehmer*innen mit mindestens 35 Beitragsjahren eine Grundrente, die 10 Prozent über der Grundsicherung liegt, erhalten werden. Ein guter Einstieg in eine neue Debatte über das Rentenniveau. Exkurs: „vorerst bis 2024 auf 48% fixiert“ klingt wenig, die AG 60 plus fordert ein Rentenniveau von 50%. Aber erstens ist es viel wichtiger zu fragen, wovon die 48 % gerechnet werden, manchmal sind ja 52 % im Geldbeutel weniger Euro als 48 % und zweitens hängt das gegenwärtige Niveau von 48 % von vielen Faktoren ab, die sich bis 2024 gravierend verschlechtern könnten – und dann hätte das Niveau auf bis zu 43 % absinken können. Diesen Sinkflug hat der Koalitionsvertrag gestoppt.
Mütter und Väter, die vor 1992 drei oder mehr Kinder erzogen haben (Die Begrenzung auf drei oder mehr Kinder halten wir für eine große Ungerechtigkeit, die das BMAS aber nun auch unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes noch einmal überprüft) und daher lange Zeit nicht am Erwerbsleben teilgenommen haben, sollen durch die Mütterrente II eine verbesserte Anerkennung ihrer Erziehungszeiten erhalten.
Natürlich soll auch die Gesundheitsversorgung verbessert werden. Neben verstärkten Anreizen für Ärzte, sich auf dem Land niederzulassen, soll auch die Terminvergabe für Arztbesuche verbessert werden. Für chronisch Erkrankte (Disease-Management) soll es verbesserte Programme geben. Künftig fallen auch Rückenschmerzen und Depression darunter.
Es ist leicht zu sehen, warum wir mit dem Koalitionsvertrag als Verhandlungsergebnis mit einer Union, die viele Momente einer menschlichen Politik schon länger hinter sich gelassen hat, bei aller Kritik noch vertreten können. Damit ist aber auch gezeigt, warum wir uns schon in der Koalitionszeit aufmachen müssen, unser Profil schärfer zu zeichnen.