Fachleute aus Schule, Hochschule, Wirtschaft und Politik diskutierten über die Zukunft der Mathematik.
Mathematik muss raus aus dem Bildungsloch. Das forderten gestern Teilnehmer eines Podiums in der Universität.
Von Stefan Zeeh, RNZ vom 14.9.2004
„Mathematik ist leicht“, so sollen zumindestens die Schul- und Hochschulabsolventen der Zukunft denken, wünscht sich Arne Madincea von der Herder-Schule in Berlin.
Wie diese Vision verwirklicht werden kann, darüber diskutierten acht Fachleute aus Schule, Hochschule, Wirtschaft und Politik anlässlich der Tagung der Deutschen Mathematischen Vereinigung in Heidelberg. Provokanter Titel der Podiumsdiskussion „Schwarze Löcher in der Bildung: Hat Mathematik noch eine Chance?“
Diese Frage ist durchaus erlaubt, denn die Mathematik hat in der breiten Öffentlichkeit ein sehr gespaltenes Ansehen, wie Lothar Binding, SPD-Bundestagsabgeordneter und Diplom-Mathematiker, einräumt. Mathematik ist im Alltag unverzichtbar, erscheint aber vielen Menschen als zu kompliziert. Die Bedeutung der Mathematik hob auch Bernd Neumann, Vorstandsvorsitzender der MLP Lebensversicherung, hervor, da gerade in der Finanzdienstleister-Branche gut ausgebildete Mathematiker gebraucht werden.
Doch wie kam es, dass die Mathematik, wie auch andere Naturwissenschaften nach verschiedenen Studien, es sei nur an die Pisa-Studie erinnert, derzeit an deutschen Schulen so schlecht da steht? Hierzu schilderte Arne Madincea aus Sicht eines Lehrers die Veränderungen der letzten Jahrzehnte an den Schulen in Berlin. Nicht nur, dass sich die durchschnittliche Anzahl der Schüler in einer Klasse von 27 auf 34 erhöht hat und die Mathematik-Stunden reduziert wurden, es erfolgte auch die Einführung der Fünf-Tage-Woche und über das Wochenende werden praktisch keine Hausaufgaben gemacht. Dabei braucht Lernen Zeit und die Lehre muss von Menschen gemacht werden und nicht vom Computer, plädiert Madincea für mehr persönliche Kontakte zu den Schülern.
Denn nur so kann die Schule die von Manfred Hahl vom Kultusministerium in Baden-Württemberg geforderte Lebensnähe gewinnen. Es haben sich aber auch positive Aspekte ergeben. Die Schüler sind offener und interessierter geworden sind, betonen sowohl der Lehrer Madincea als auch Dr. Hermann Schunck vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Doch diese erwachte Neugierde der Schüler wird noch nicht genutzt. Hierfür wäre beispielsweise ein früherer Einstieg in die Begabten- und Nicht-Begabten-Förderung notwendig, fordert Hermann Schunck. Und auch die mit dem neuen Schuljahr eingeführte Gestaltungsfreiheit bei den Lehrinhalten, bei der ein Drittel von der jeweiligen Schule frei bestimmt werden kann, soll laut Manfred Hahl, zu einer größeren Selbstständigkeit der Schüler führen.
Diese neuen Freiheiten sind auch dringend notwendig, erklärt Professor Hans-Wolfgang Henn von der Universität Dortmund, denn die Lehrer und Professoren sind „Experten mit den ständig wechselnden Lehrplänen zu leben“ und diese ihren eigenen Kenntnissen anzupassen. Erst durch Eigeninitiative wird wieder Schwung in eingefahrene Lehrstrukturen kommen und damit auch der Wettbewerb zwischen den Schulen möglich. Überhaupt sind begeisterte Lehrer notwendig, damit sie auch die Schüler begeistern können, findet Roger Kömpf, ehemaliger Schulleiter des Helmholtz-Gymnasiums in Heidelberg und deshalb müssen Pädagogen auch etwas im Unterricht ausprobieren dürfen.
Neue Wege fordert auch Professor Willi Jäger von der Universität Heidelberg und sieht vor allem in der Öffnung der Grenze zwischen Schule und Hochschule ein wichtiges Instrument. So bringt der Personalaustausch von Schulen und Hochschulen befruchtende Erfahrungen sowohl für Hochschullehrer als auch für Lehrenden an den Schulen.
Aber auch die Beteiligung von Fachwissenschaftlern in den verschiedenen Gremien, die für Lehr- und Studienpläne verantwortlich sind, ist den Teilnehmern der Podiumsdiskussion wichtig. Denn, die besten Studenten müssen an die Schulen, damit dort gute Schüler ausgebildet werden, fasst Jäger das Ziel der Bildungspolitik zusammen.