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Berlin, Regierungsviertel. Früher Nachmittag. Lothar Binding ist auf dem Weg zum ARD-Hauptstadtstudio. Eine Radio-Journalistin hat ihn zum Interview gebeten, er soll sein neues Buch vorstellen. Die paar Meter bis zum Sender geht er zu Fuß. Der Wind kriecht unangenehm unter die Jacke. Binding stört das nicht: „Frische Luft ist gut für die Haut.“

Davon handelt auch sein Buch: frische, saubere Luft, völlig frei von Feinstaub. 14 Minuten soll der Beitrag im Radio dauern. Während Binding plaudert, fragt in seinem Büro der nächste Journalist nach einem Gesprächstermin. Seit Tagen geht das schon so. Ein derartiges Medieninteresse erfahren gewöhnliche Bundestagsabgeordnete wie Lothar Binding selten. Und das alles wegen „frischer Luft“.

Fast scheint es, als machte die Berliner Medienwelt viel Aufsehen um nichts. Aber Binding ist nicht da, um der Dame vom Radio zu erzählen, wie gesund frische Luft für die Haut ist. Binding setzt sich für den Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens ein. Aus den hinteren Reihen des Parlaments hat er das Nichtraucherschutz-Gesetz initiiert. Seine Erfahrungen als Abgeordneter, der gegen die Tabak-Lobby, den Deutschen Hotel- und Gaststättenverband, rauchende Kollegen und dubiose Forschungsinstitute angetreten ist, hat der Heidelberger im Buch „Kalter Rauch – Der Anfang vom Ende der Kippenrepublik“ verarbeitet.

Normalerweise ist er Zahlenjongleur in Finanz- und Haushaltsausschuss, doch in der 191 Seiten umfassenden Lektüre lässt er hinter die properen Beton-Fassaden im Regierungsviertel blicken, in die Netzwerke zwischen den Interessen- und Volksvertretern.

Ein bisschen gleicht der Politiker Loriot: Er spricht in derselben Tonlage, hell und freundlich, hat immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Und weil es billiger ist, bestellt Binding 104 Kilo Lakritze für seine Süßgelüste auf einen Schlag – dabei hat er „Papa ante Portas“ nie gesehen. Seine Arbeit nimmt Binding sehr ernst. Fast täglich sitzt er bis nachts um zwei Uhr am Computer, schreibt Texte oder beantwortet Bürgeranfragen. Binding ist Suchtmensch – Arbeit, Kaffee und Lakritze, das sind seine Drogen.

Und Rauchen? „Vier Päckchen am Tag. Roth-Händle, richtig starkes Kraut. Filterlos.“ Das sei aber schon 30 Jahre her. Angefangen habe er während einer Elektriker-Lehre als 15-Jähriger. Auf dem zweiten Bildungsweg habe er das Abitur nachgeholt und sich mit Ferienjobs seinen Zigarettenkonsum finanziert.

„Als ich Abitur machte, mischte sich in die Freude, es geschafft zu haben, die Trauer über den frühen Tod meines Vaters.“ Noch keine 50 Jahre, Lungenkrebs. Nicht einmal dieser Schock hatte den Anstoß gegeben, abzulassen vom blauen Dunst. „Ich war verliebt. Angelika, sie hat damals mit mir studiert. Ich wollte ihr gefallen.“ Von jetzt auf nachher hörte er auf. Mit der Kommilitonin von damals ist er heute verheiratet und hat zwei Söhne.

Dass er selbst einmal eine nach der anderen geraucht hat, macht ihn glaubwürdig – auch für diejenigen, die noch nicht angefangen haben aufzuhören. Es gehe ihm nicht darum, das Rauchen zu verbieten, sondern die Freiheit der Nichtraucher zu schützen, nicht Qualm anderer einatmen zu müssen. „Ein Raucher will niemandem etwas Böses. Er will nur in Ruhe Nikotin konsumieren“, sagt er.

Ortswechsel: Café Peter. Es gibt belegte Brötchen und Sekt. Früher waren hier Lobbytreffen des mittlerweile aufgelösten Verbandes der Zigarettenindustrie. Dessen Mitglieder hatten sich verkracht, weil sie sich auf keine Strategie gegen Bindings Vorhaben einigen konnten. Jetzt stellt der Nichtraucher hier sein Buch vor – wer streut nicht gerne Salz in die Wunden seiner Gegner.

Die Medien sind da, Vertreter von Nichtraucher-Initiativen, Freunde, der Verleger und die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing. Der Autor ist nervös. Zurückhaltend serviert er Wasser. Er redet frei, aber Mimik und Gestik verraten, dass er sich nicht wohl fühlt – angehimmelt von den nichtrauchenden Fans. Sich selbst als Helden darzustellen ist nicht sein Ding. Sogar im Bundestag scheut er selbstdarstellerische Auftritte. Darum blendet er seine eigene Person weitgehend aus, redet über all die Anderen, die seine Initiative zu einem Erfolg haben werden lassen.

Die Idee, einen Nichtraucherschutz in die Wege zu leiten, war nichts Neues – aber immer wieder gescheitert. Und doch hat es ausgerechnet Lothar Binding geschafft. Einer, den außerhalb seines Wahlkreises beinahe niemand kennt und selbst dort wahrscheinlich nicht jeder.

Anstoß habe ein Besuch im Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg gegeben, wo man ihm eine Studie über Passivrauchen präsentierte. Anschließende, nächtelange Internet-Recherchen zeigten ihm ein erschreckendes Bild: Relativierende Auftragsforschung, finanziert von der Zigarettenindustrie, Werbestrategien, um Kinder und Jugendliche früh an das Produkt zu binden und dergleichen mehr. Wenige Wochen später saß Binding mit seinem Anliegen im Büro von SPD-Fraktionschef Peter Struck. Dieser, etwas konsterniert, hatte erstmal ein Pfeifchen geraucht.

Der Fraktionschef schickte Binding auf eine Odyssee – die Initiative sollte nicht als Antrag der Fraktion ins Parlament eingegeben werden, sondern als Gruppenantrag. Für gewöhnlich die Variante mit der geringsten Aussicht auf Erfolg. „Struck hat mich absolut fair behandelt“, sagt Binding. Am Ende war der fraktionsübergreifende Gruppenantrag der Weg zur Mehrheit. „Die Dinge liegen oft an Umwegen“, lautet eine der Lebensweisheiten, die der 57-jährige Binding zu jeder denkbaren Situation anbringt. Und dies hatte sich hier bewahrheitet: 31 Unterschriften von Mitgliedern des Bundestages wären nötig gewesen, 50 hat er, ohne viel Werbung dafür zu machen, für seinen Antrag bekommen. Carsten Albert

INFO: Lothar Binding (2008): Kalter Rauch – Der Anfang vom Ende der Kippenrepublik. Orange-Press, Kempten.