Die geldpolitischen Maßnahmen der EZB allein können nicht die Probleme der Wachstumsschwäche lösen. Auch Politik und Privatwirtschaft müssen ihrer Verantwortung, Wachstum zu stimulieren, nachkommen. Denn nachhaltiges Wachstum geht nur mit privaten und öffentlichen Investitionen. So würde auch die Niedrigzinspolitik entbehrlich.

Alles hängt mit Allem zusammen. Jedenfalls hängt Vieles mit Vielem zusammen. Fiskal- und geldpolitische, psychologische, wirtschafts- und sozialpolitische, nationale, regionale, europäische und globale, private und öffentliche Wirkungszusammenhänge lassen sich kaum mit der Frage nach einem Parameter erschließen. Wirtschaftswissenschaftler helfen sich mit der Ceteris-Paribus-Klausel, also der Annahme, dass außer den im Modell betrachteten Variablen alle anderen ökonomischen Variablen konstant blieben. Für die praktische Politik ist diese wissenschaftliche Hilfskonstruktion ungeeignet. Deshalb müssen wir zur Verbesserung der Lebenssituation aller Menschen im Maßstab sozialer Gerechtigkeit – und darin sehe ich das Ziel unseres politischen und ökonomischen Handelns – in Deutschland, Europa, der Welt viele Maßnahmen und Perspektiven in den Blick nehmen.

Ein Beispiel: Spanien hat nach der Krise, auch gestützt auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), sein Bankensystem wieder stabilisiert, Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum gesteigert sowie den Schuldenstand im Privatsektor gesenkt – soweit alles prima. Spanien ist aus dem Hilfsprogramm ausgestiegen. Hätten wir nach einer Kenngröße wie der Jugendarbeitslosigkeit (ca. 45%) oder Arbeitslosigkeit (ca. 22%) gefragt, wäre das Ergebnis anders ausgefallen, auch wenn diese inzwischen ganz langsam sinken.

Last but not least gilt es die Austeritätspolitik besonders in Ländern zu beenden, die unter großem konjunkturellen Druck stehen. Denn alle einzelnen Maßnahmen, auch die geldpolitischen der EZB, basieren auf der falschen Grundannahme: Austeritätspolitik als Lösungsansatz zur Überwindung der Krise. Statt in die jeweilige Krise zu sparen, sich also prozyklisch zu verhalten und damit die Rezession noch zu vertiefen, sollten in einer Krise antizyklische Wachstumsprogramme zu mehr Investitionen führen, die einen Anstieg der Arbeitsplatzzahlen und Steuereinnahmen bewirken. Das wäre ein wenig mehr Keynes und weniger Monetarismus bzw. Neoliberalismus. So könnten sich nach und nach wieder mehr Menschen in der Europäischen Union für Europa begeistern.

Mit diesen beiden Vorbemerkungen komme ich zum Thema Niedrigzinspolitik der EZB:

Sparerinnen und Sparer in der Zinsfalle?

Aus Sicht der Sparerinnen und Sparer ist es auf den ersten Blick verständlich, dass sie die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) äußerst negativ bewerten und sich stattdessen höhere Zinsen wünschten. Wertverluste hat der Sparer aber nicht deshalb weil der festgesetzte EZB-Leitzins wie derzeit ganz nahe Null ist. Reale Wertverluste sind dann zu beobachten, wenn die Inflationsrate (Preisniveauanstieg) die nominalen Zinsen übersteigt und damit der Realzins negativ ist. Das ist auch die aktuelle Situation für deutsche Sparer. Dieser Umstand ist misslich, aber in der deutschen Geschichte keineswegs eine Seltenheit. Seit 1967 machten die Sparer in mehr als der Hälfte des Zeitraums Verluste hinsichtlich des Realzinses. In den ganzen 1970er-Jahren etwa haben die hohen Nominalzinsen nicht gereicht, um die noch höhere Teuerung (Anstieg des Preisniveaus) auszugleichen – auch in den späten 1990er-Jahren war es ähnlich. Von daher ist ein negativer Realzins nichts Außergewöhnliches. Gut heißen, muss man das trotzdem nicht.

Positive Effekte

Es gibt auch offensichtlich positive Effekte der EZB-Niedrigzinspolitik: Viele Bürgerinnen und Bürger haben dadurch Vorteile. Noch nie waren die Kreditzinsen für den Immobilienkauf und für Konsumentendarlehen so niedrig. Niedrige Zinsen helfen den Schuldnern, also den armen verschuldeten Privathaushalten und dem armen verschuldeten deutschen Staatshaushalt, weil die Refinanzierungen am Kapitalmarkt sehr günstig sind. Das Geldvermögen der Reichen wächst langsamer – eine schwach positive Verteilungswirkung. Unternehmen investieren und die Beschäftigung (leider noch zu oft prekär) in Deutschland ist höher denn je. Neben dem Ölpreisverfall wirkt die Schwäche des Euros gegenüber dem Dollar auf exportorientierte Unternehmen wie ein zusätzliches Konjunkturprogramm.

EZB-Instrumente

Die EZB richtet ihren Leitzins an der Teuerung in der Eurozone aus. Eigentlich strebt sie mittelfristig eine Inflationsrate von nahe zwei Prozent pro Jahr an. Da die Inflationsrate im Euroraum Ende 2015 bei 0,1 Prozent im November und 0,2 Prozent im Dezember verharrte, hat der EZB-Rat im Dezember 2015 den Leitzins auf dem Rekordtief von 0,05 Prozent belassen und den Strafzins für Bankeinlagen bei der Notenbank auf minus 0,3 Prozent gesenkt.

Neben den weiterhin historischen Zinssätzen in der Eurozone hat die EZB seit März 2015 den Aufkauf von Staatsanleihen und weiteren Wertpapieren („Quantitative Easing“) gestartet. Mindestens bis März 2017 will die EZB für monatlich 60 Milliarden Euro Anleihen kaufen. Vor dem Hintergrund der niedrigen Inflationsrate ist es nachvollziehbar, dass die EZB-Bilanzsumme, die im März 2012 auf ihren bisherigen Höchststand von mehr als drei Billionen Euro gestiegen war und zwischenzeitlich auf zwei Billionen Euro sank, nunmehr bis März 2017 auf 3,6 Billionen Euro ansteigen soll.

Neben der Erhöhung der Inflationsrate strebt die EZB mit dem Aufkauf der Wertpapiere auch eine Ankurbelung des Wirtschaftswachstums in der Eurozone an. Durch den Verkauf dieser Staatsanleihen erhalten die Banken zusätzliches Geld, das sie insbesondere zur Kreditfinanzierung der Unternehmen in der Eurozone verwenden sollen. Die Unternehmen können mehr investieren, neue Maschinen für ihr Unternehmen kaufen, die Warenvorräte aufstocken und neue Mitarbeiter einstellen. Insgesamt soll also die Investitions- und Konsumnachfrage der Eurozone und damit auch die Inflation steigen. Nun liegt es einerseits in der Verantwortung der privaten Wirtschaft, diese Möglichkeiten zu nutzen und stärker zu investieren, andererseits sollten die öffentlichen Investitionen dort verstärkt werden, wo Wachstumsimpulse zur Krisenbewältigung unerlässlich sind.

Investitionsprogramme zur Stimulierung von Wirtschaftswachstum

Die geldpolitischen Maßnahmen der EZB können allein nicht die Probleme der Wachstumsschwäche – insbesondere in den südeuropäischen Ländern – lösen. Die europäische Politik darf der EZB die Aufgabe, Wachstum und Beschäftigung zu stimulieren, nicht allein überlassen.

Für nachhaltiges Wachstum brauchen wir Investitionen auf europäischer Ebene. Zielgerichtete Investitionen in digitale Infrastruktur, den gemeinsamen Energiemarkt und im Bereich Energieeffizienz können einen wertvollen Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union leisten und setzen wichtige Wachstumsimpulse. Vor diesem Hintergrund stellt das Investitionsprogramm auf Initiative des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und des Präsidenten des Europäischen Parlaments Martin Schulz den richtigen Schritt dar. Das Programm soll bis zum Jahr 2017 insgesamt 315 Milliarden Euro mobilisieren. Kernstück des Investitionspakets ist der Europäische Fonds für Strategische Investitionen (EFSI), der die EU-Wirtschaft ankurbeln und die Arbeitslosigkeit verringern soll. Hierzu ist der EFSI mit strategischen Investitionen in Höhe von 21 Milliarden Euro (Eigenkapital) eingerichtet worden. 16 Milliarden Euro kommen aus bereits vorhandenen EU-Mitteln, fünf Milliarden Euro von der Europäischen Investitionsbank. Mit diesem Grundstock sollen Investitionen der Privatwirtschaft abgesichert bzw. motiviert werden. Nach den Berechnungen der Kommission sollen dann mit 315 Milliarden Euro etwa 15-mal so viel Privatkapital in den nächsten drei Jahren mobilisiert werden.

Deutschland unterstützt diese europäische Investitionsoffensive substanziell und beteiligt sich über die Kreditanstalt für Wiederaufbau mit acht Milliarden Euro unter anderem an der Finanzierung von Projekten und an Investitionsplattformen. Es sind Investitionen dieser Art, die Europa jetzt braucht.

Der Beitrag ist im Tagesspiegel Causa am 4. Februar 2016 erschienen.