Krise in der Ukraine? Nein, längst steht das ganze Verhältnis West-Ost auf dem Spiel. Im Kreml glaubt man, die EU habe eine Rote Linie überschritten. Aus russischer Sicht war der Maidan ein westliches Komplott gegen Russland. Ein Versuch, die Ukraine unter Kontrolle zu bringen und sie Russland abspenstig zu machen. Und um auf diese Weise russische Pläne für eine Art östliche EU, die „Eurasische Wirtschaftsunion“, zu torpedieren.
Die russische Antwort darauf ist selber eine provokative Überschreitung roter Linien. Mit der Einverleibung der Krim und der anhaltenden Unruhestiftung in der Ostukraine. Zwar hat Präsident Putin die Betreiber der extralegalen Referenden in Donezk und Lugansk zur Verschiebung ihrer Pläne aufgefordert, dann aber die windige und verfassungswidrige Volksabstimmung „respektiert“. Was immer das heißt! Das Schlimmste ist tatsächlich: Wir können Russlands Absichten nicht erkennen und schon gar nicht voraussagen. Unberechenbarkeit ist aber ein schlimmer Feind von Partnerschaft.
Was kann man tun? Was tut Deutschland? Erstes Gebot ist, den Menschen in der Ukraine zu helfen. Mit Rat und Tat und auch mit finanzieller Unterstützung, um den drohenden Staatsbankrott abzuwenden. Das passiert. Und dazu versuchen wir, die Gewaltanwendung auf beiden Seiten zu stoppen und Wege für eine politische Lösung zu öffnen. Im Moment spielt hierbei die OSZE eine entscheidende Rolle. Ihr Präsident, der Schweizer Bundespräsident Didier Burkhalter, genießt Vertrauen in Kiew und Moskau. Sein Plan besteht ganz einfach aus vier Punkten: Gewaltverzicht, Entwaffnung, nationaler Dialog, Wahlen. Jetzt sollen „Runde Tische“ die Kontrahenten in persönlichen Kontakt bringen. Und damit raus aus dem Modus der wechselseitigen Gewaltanwendung.
Das entspricht genau den Bemühungen des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier. Der hat schon früh die OSZE als Beobachter und Moderator ins Spiel gebracht und „Kontaktgruppentreffen“ wie das in Genf gefordert. Und er hat das „Weimarer Dreieck“ wiederbelebt und damit Frankreich und Polen in die Vermittlungsbemühungen eingebunden. Jetzt unterstützen wir nachdrücklich die allmählich von allen Seiten anerkannte Rolle der OSZE. Botschafter Wolfgang Ischinger kann da mit seinen großen Erfahrungen hilfreich sein.
Viel steht auf dem Spiel: Die Zukunft der Ukraine. Aber auch alles, was in mehr als 20 Jahren zwischen der Russischen Föderation auf der einen und der EU und Deutschland auf der anderen Seite aufgebaut wurde. Das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen, die EU-Russland-Gipfel und die regelmäßigen deutsch-russischen Regierungskonsultationen, die Programme zur Modernisierungspartnerschaft, die ständig gewachsenen Wirtschaftsbeziehungen, die Verflechtung bei der Energieversorgung, der „Petersburger Dialog“ als Plattform für die Zusammenarbeit der Zivilgesellschaften.
Das alles darf jetzt nicht zerstört werden. Wir wollen keine Rückkehr des Kalten Krieges, dessen Überwindung uns so viel Kraft gekostet hat. Das Ziel einer zivilisierten, auf Dialog gegründeten politischen Lösung der tiefen Krise zwischen dem Westen und der Russischen Föderation fordert uns allergrößte Anstrengung ab. Wir wissen, was wir verlieren können.
Gernot Erler MdB
Koordinator für Russland, Zentralasien und die Länder der Östlichen Partnerschaft