Foto: Ralph Urbach

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Die Talkrunde „Lothar Binding aus der Nähe“ ist fast schon eine Institution des Heidelberger Bundestagsabgeordneten. Immer wieder lädt er bekannte Polit-Vertreter in seinen Wahlkreis ein, um mit ihnen zu diskutieren und aktuelle Fragen zu erörtern – aber auch, um ganz einfach nur zu plaudern. Zu Gast aus München kam Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin. Lothar Bindings Kollege Lothar Mark aus Mannheim begrüßt die zahlreichen Besucher.

Prof. Nida-Rümelin studierte Philosophie, Physik, Mathematik und Politikwissenschaft in München und Tübingen, lehrte Philosophie und politische Theorie in München, Göttingen und Berlin, seit 2004 ist er Ordinarius für politische Theorie und Philosophie an der Universität München – und war Kulturstaatsminister im ersten Kabinett Schröder.

Im Schwerpunkt der Diskussion befasst er sich mit dem Thema „Bildung und Lebensperspektive“. In seiner Kritik betont er, „Bildung ist ein überaus deutscher Begriff“, der in vielen anderen Kulturen so nicht vorhanden sei. So wie er im 19. Jahrhundert verstanden wurde, sei damit vor allem die Persönlichkeitsbildung und nicht nur die Vermittlung von Fertigkeiten gemeint. Für Nida-Rümelin heißt Bildung im eigentlichen Sinne des Begriffs, „die Fähigkeiten eines jeden Menschen ganzheitlich zu entwickeln“. Gegenüber der auf einen spezifischen Beruf ausgerichteten Ausbildungsrichtung sollte eine Bildungsorientierung Vorrang haben, die es ermöglicht, sich auf neue Herausforderungen einzustellen, mit Menschen anderer Kulturen zu kommunizieren und die Fähigkeit verleiht, sich selber ein Urteil zu bilden. Dies seien die zentralen Orientierungen des humanistischen Bildungsbegriffes und die wichtigsten Voraussetzungen, um im Leben Erfolg zu haben.

Aber auch Nida-Rümelin schwelgt in Anekdoten über den Schröder-Wahlkampf 1998 und schließlich berichtet er über seine politische Tätigkeit im Kabinett Schröder. Man erfährt auch einiges Privates. Julian Nida-Rümelin, geboren 1954, entstammt einer Münchner Künstlerfamilie. In den Jahren 1998 bis 2000 war Nida-Rümelin Kulturreferent in München. 2001 und 2002 ernannte ihn Bundeskanzler Gerhard Schröder zum Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Als Inhaber dieses Amtes war er für die Kultur- und Medienpolitik der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich.

Zur Thematik „Ethik und Ökonomie“ verlangt Nida-Rümelin in der gegenwärtigen Umbruchphase der globalen Wirtschaftskrise eine kulturelle Perspektive und wirft die Forderung eines neuen Verhältnisses von Ethik und Politik, Recht und Ökonomie, Staat und Zivilgesellschaft auf.

Julian Nida-Rümelin: „Es ist eine Frage des Selbstverständnisses, der kulturellen Atmosphäre. Verstehen wir uns in erster Linie als Nation der Maschinenbauer, obwohl es natürlich ein unbestrittener Erfolg ist, viertgrößter Exporteur der Welt zu sein. Oder verstehen wir uns als Land der Bildung und Kultur?“. Letzteres sei ins Hintertreffen geraten, kritisierte er vehement. Vom Lande der Dichter und Denker könne jetzt keine Rede mehr sein, meint er. Mittlerweile hätte fast ein Drittel der Jugendlichen kein Interesse mehr an Büchern. Bildung spiele für ihr Selbstwertgefühl eine untergeordnete Rolle. „Bei uns scheint im Unterricht etwas schief zu laufen. Im internationalen Vergleich fehlt es offenbar an pädagogischem Verständnis“. In einem Beispiel macht er dies deutlich: Ein Mathematik-Lehrer hätte im Grunde das Gleiche studiert wie ein Diplom-Mathematiker. Ein wissenschaftliches Studium, ausgelegt auf die Forschung. Einmal zurück in der Schule, müsse er den Rest seines Lebens mit mathematischen Banalitäten verbringen. Am Ende steht bei Nida-Rümelin die Forderung nach einem besseren Bildungssystem für mehr Chancengleichheit und ganzheitlicher Pädagogik.