Natürlich sind es nicht nur die Medien und der politische Gegner, die das Kirchhofsche Steuermodell als zu theoretisch abgetan haben. Das absehbare Scheitern von Professor Kirchhof reiht sich ein in eine Kette von Pannen und Fehlern des Unionswahlkampfes.
Die CDU hatte eine bemerkenswerte Abkehr von den sozialstaatlichen Traditionen vollzogen. Die innerparteiliche Marginalisierung von Sozialpolitikern wie Norbert Blüm, Heiner Geißler oder Horst Seehofer offenbarte einen programmatischen und kulturellen Schwenk der Unionsparteien zu einem neoliberalen Selbstverständnis, das auf Dauer die Bindung zahlreicher Unionswähler aus den unteren sozialen Schichten zerstörte. Diese Integrationsschwäche der CDU auf Bundesebene ist bei den zurückliegenden Landtagswahlen nur deshalb nicht ins Gewicht gefallen, weil sie sich entweder programmatisch bedeckt hielt oder von den Schwächen des politischen Gegners profitierte.
Viel zu spät distanzierte sich neben mehreren CDU-Politikern auch CSU-Chef Edmund Stoiber von Kirchhofs Konzept, einem Konzept, das von keiner einzigen Steuerfachabteilung der Länderfinanzministerien als realisierbar angesehen wird.
Die Anwendung dieser wirtschafts- und steuerpolitischen Vorstellungen wären eine Katastrophe für die öffentlichen Haushalte in Bund, Ländern und Gemeinden und hätte die Gerechtigkeit in Deutschland auf den Kopf gestellt, weil dieses Modell eine aggressive Umverteilung von unten nach oben verursacht. Auch in der Wirtschaft haben die Vorstellungen des ehemaligen Verfassungsrichters wachsendes Unbehagen ausgelöst. Zwar wurde die Grundidee, das Steuerrecht radikal zu vereinfachen, Ausnahmen abzuschaffen und gleichzeitig die Steuern zu senken, uneingeschränkt unterstützt, aber jedem war klar: Kirchhof hat eine schöne Vision, ein Modell für akademische Übungen, aber es ist nicht praktikabel, nicht bezahlbar. Deshalb musste Prof. Kirchhof auf den CDU Veranstaltungen auch mühsam erklären, warum er als künftiger Finanzminister ein ganz anderes Modell, das CDU Modell nämlich, umsetzen würde, und nicht seinen eigenen Reformvorschlag.
Die Berufung Paul Kirchhofs wurde so für die Union ein großes Debakel und sie ist daher auf einem sensiblen Themenfeld massiv unter Druck zu geraten. Warum das passiert ist, bleibt ihr Geheimnis. Wozu es führte, wurde uns allen klar: Die Sozialdemokraten konnten ihr wichtiges Thema „Soziales“ in der Medienberichterstattung verankern und bei der Steuerpolitik ihren Kompetenzvorsprung ausbauen. Wofür die Union in der Steuerpolitik stand, blieb den Wählern unklar. Auch die schönsten Formulierungen können innere Widersprüche einer Konzeption nicht dauerhaft verbergen. Sascha Kynast, von Argus Media, sieht die Union im Spiel um Kirchhofs Ruf sehr viel kritischer. Seine Inhaltsanalyse der meinungsführenden Medien in den Wahlkampfwochen ergab: Fast zwei Fünftel der Kirchhof-Kritiker kommen aus der Union. Ende August, Anfang September übertrumpften die CDU/CSU-Angriffe sogar die des politischen Gegners. Und danach kippte die Stimmung gegenüber Kirchhofs politischer Eignung und der Widerspruch zwischen eloquentem Vortragsstil und steuerpolitischer Fachkompetenz wurde zunehmend kritisch gewürdigt.
Alles zusammengenommen, hat sich die Union selbst geschlagen. Ihr gelang es den komfortablen Vorsprung in kürzester Zeit auf fast Null zusammenzuschmelzen Kirchhof konnte sein Modell länger als zwei Jahre landauf landab sehr medienwirksam vorstellen, sein Scheitern nun damit zu begründen, dass andere das große, er aber nur „das kleine Mikrophon „gehabt hätte geht sicher an der Wirklichkeit vorbei.