von Lothar Binding & Johannes Gorges

Mythos

In der öffentlichen Debatte wird immer wieder behauptet, eine nur national oder auf wenige Staaten begrenzte Finanztransaktionssteuer (FTS) wäre wirkungslos, da sie nur zu Ausweichreaktionen auf andere, nicht besteuerte Finanzkonstrukte oder in andere Länder ohne FTS führen würde. Eine wirksame Finanztransaktionssteuer könne daher nur global eingeführt werden.

WELT, 20.08.2011: Banken halten Transaktionssteuer für wirkungslos.

Nach Ansicht der deutschen Banken wäre eine Steuer auf Finanztransaktionen wirkungslos. „Die Steuer schützt nicht vor Finanzkrisen, denn Börsenprofis ist es egal, ob sie ihr Geschäft über die Börsen in Europa, Asien oder USA abwickeln“, schrieb der Präsident des Bundesverbands deutscher Banken, Andreas Schmitz, in einem Beitrag für die Zeitung Bild am Sonntag. Es sei „nur ein Klick am Computer, der den Handelsort festlegt und in steuerfreies Gebiet verlagert“. „Die großen Steuereinnahmen bleiben also aus“, schrieb Schmitz. Es bringe nichts und sei ungerecht, „in wenigen Ländern die Steuer einzuführen“.

ZEIT, 23.07.2016: Deutschland will eine globale Finanzsteuer.

Die Debatte nutzte Schäuble für seinen Vorstoß, weltweit die Finanztransaktionssteuer einzuführen. Alle seien sich einig, dass es richtig wäre, eine solche Besteuerung der Finanzgeschäfte global einzuführen, sagte Schäuble. „Nur hat es bisher niemand versucht.“ Auch in Europa stoße man immer an Grenzen, weil nur Verschiebungen bei der Besteuerung von Geschäftsmodellen erreicht würden: „Deshalb muss es global gemacht werden.“ Bislang wollen nur noch Deutschland und neun weitere europäische Staaten eine solche Steuer durchsetzen. Die Verhandlungen laufen aber seit Monaten ohne greifbares Ergebnis. Schäuble sprach von einer „langen und sehr lächerlichen“ Geschichte.


 

Die Debatte über die Finanztransaktionssteuer wird seit vielen Jahren geführt. Schon früh von John Maynard Keynes in den 1930er Jahren als Mittel zur stärkeren Regulierung des Finanzmarktes angedacht, verschwand sie bald aus der Diskussion, bis sie von James Tobin in den 1970er Jahren wieder aufgegriffen wurde. Im Zuge der Asienkrise in den 1990er Jahren bildete sich das Attac-Netzwerk, um die Einführung einer Finanztransaktionssteuer nach Tobin zu fordern. Man schlug vor, die Steuereinnahmen zur Bekämpfung von Armut einzusetzen. Mit der Pleite der Lehman Brothers 2008 und der folgenden globalen Finanzkrise, die in Europa nur durch massive Verschuldung der Staaten eingedämmt werden konnte lebte die Idee der Finanztransaktionssteuer wieder auf. Das Ziel ist sowohl Einnahmen zu generieren, um den Finanzsektor an den Kosten der Krise zu beteiligen, aber auch unerwünschte Spekulationen einzudämmen, um insgesamt die Krisenanfälligkeit des Finanzsystems zu mindern. Ebenso alt wie die Debatte über ihre Einführung ist aber auch der Kampf gegen die Steuer, insbesondere von Seiten der betroffenen Banken und Finanzinstituten, aber auch von konservativen und liberalen Politikern.

Ein häufig vorgebrachter Einwand gegen die Steuer ist, dass ihre Einführung in nur wenigen Ländern zur Verlagerung wichtiger Finanzgeschäfte in andere Länder führen würde und eine Finanztransaktionssteuer daher nur global eingeführt werden könne. Angesichts globalisierter Finanzmärkte wäre natürlich eine weltweit erhobene Steuer auf sämtliche Finanztransaktionen wünschenswert und der Idealzustand. Aber eine genauere Betrachtung dieser Forderung zeigt, dass sich dahinter kein Wille zu mehr Gerechtigkeit in der Welt, sondern zur Beerdigung der FTS verbirgt: denn die Wahrscheinlichkeit einer Einführung der Steuer in wirklich allen Staaten, staatenähnlichen Jurisdiktionen

unter Einschluss aller Steueroasen sowie failed states ist natürlich Null. Dies zeigt der Versuch der EU Kommission, aus dem Jahre 2011, die FTS europaweit einzuführen, beispielhaft. Dieser scheiterte schon kurze Zeit später kläglich am Widerstand mehrerer Mitgliedstaaten, allen voran Großbritannien. Wenn sich also nicht mal die EU gemeinsam zu einer FTS durchringen kann, ist die Vorstellung dies global umzusetzen zu können geradezu utopisch.

Fakt 1: Der maßgebliche EU-Vorschlag will durch eine Kombination von Ansässigkeits- und Ausgabeprinzip mögliche Ausweichreaktionen auf ein Minimum beschränken.

lso sollte man das Thema Finanztransaktionssteuer gleich ganz sein lassen? Keinesfalls! Richtig ausgestaltet, kann die Steuer ein wirksames Instrument zur Stabilisierung und Regulierung des Marktes für Finanzprodukte, sowie zur Beteiligung der Finanzbranche an den Kosten der Krise, sein.

Ein genauer Blick in den Vorschlag der EU-Kommission zeigt, dass die unerwünschten Verlagerungseffekte bereits bedacht wurden und diese durch entsprechende Werkzeuge unterbunden werden soll:

„Der räumlichen Steuerumgehung mittels Verlagerung von Aktivitäten sind durch eine Kombination von Ansässigkeits- und Ausgabeprinzip enge Grenzen gesetzt. Besteuert werden sollen alle Transaktionen, die von Finanzinstituten mit Sitz in der Steuerzone durchgeführt werden (Ansässigkeitsprinzip, im Folgenden gelegentlich auch Sitzlandprinzip genannt) und alle Transaktionen mit Instrumenten, die in der Steuerzone ausgegeben wurden (Ausgabeprinzip). Dem Ansässigkeitsprinzip soll bei der Steuererhebung der Vorrang eingeräumt werden, da bei einer Schieflage in der Regel auch der Staat, in dem das Finanzinstitut ansässig ist, die Mittel zur Rettung bereitgestellt hat.“

Ausweichreaktionen sind zukünftig also nur noch möglich, wenn sowohl beide Transaktionspartner als auch das gehandelte Papier nicht aus der EU kommen. Zusätzlich zu Ansässigkeits- und Ausgabeprinzip sind auch beide Transaktionspartner gesamtschuldnerisch für die Steuer haftbar. Sind also beide Partner in der besteuerten Zone registriert, teilt sich die Steuer auf. So könnten die Transaktionspartner sogar den Anreiz haben, sich nur Handelspartner aus den besteuerten Ländern zu suchen, um die Steuer nicht alleinig tragen zu müssen. Das Ansässigkeitsprinzip ist zudem erforderlich, um auch den kleinen europäischen Ländern, die Bedenken gegen die Finanztransaktionssteuer haben, an der fiskalischen Ergiebigkeit partizipieren zu lassen.

Das Problem des außerbörslichen Derivatehandels geht die EU effektiv durch zentrale Clearingstellen für bestimmte Kreditderivatkontrakte an. Damit sind Händler verpflichtet bestimmte außerbörsliche Geschäfte über autorisierte Institute abzuwickeln und alle anderen zentral zu melden, wodurch diese dann steuerlich erfassbar werden. Eine Ausweichreaktion auf diese Art von Transaktionen ist also nicht zu erwarten. Neben dem Ansässigkeits- und dem Ausgabeprinzip versucht der Kommissionsvorschlag auch durch eine möglichst breite Bemessungsgrundlage Ausweichreaktionen und Umgehungen zu unterbinden:
„Die bereits in der ursprünglichen Vorlage enthaltene Zielsetzung einer möglichst breiten Steuerbasis findet sich auch im angepassten Kommissionsvorschlag. Der Handel mit Wertpapieren wird gemeinsam mit den Derivate-Transaktionen der Besteuerung unterworfen. Steuerarbitrage zwischen den Finanzinstrumenten soll so möglichst vermieden werden. […] Zusätzlich soll zum Kommissionsvorschlag zur verstärkten Zusammenarbeit das Prinzip der „Substanz anstatt Form“ angewandt werden (EU Kommission 2013[…]). Dies zielt darauf ab, die rechtliche Umgehung mittels besonderer Konstrukte zu unterbinden.“ heißt es in einer Studie von Prof. Schäfer vom DIW zu den Auswirkungen der Finanztransaktionssteuer.

Fakt 2: Mit dem generierten Steueraufkommen beteiligt sich der Finanzsektor an den Kosten für die Finanzkrise.

Selbst im Falle eines Rückgangs des Aktien- und Anleihehandels um 15% sowie eines Rückgangs bei Derivategeschäften um 75% (inklusive Umsatzkorrektur mit dem Faktor 0,85 [„Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass nur 85 Prozent des Umsatzes innerhalb des Finanzsektors anfällt“]) beläuft sich das geschätzte Steueraufkommen für Deutschland noch auf 18 Milliarden Euro pro Jahr. Beim aktuellen Verhandlungsstand schätzt die EU Kommission die jährlichen Gesamteinnahmen auf 30-35 Mrd. Euro für die beteiligten Staaten. Der Finanzsektor würde also endlich für die Kosten der Finanzkrise zur Kasse gebeten.

Fakt 3: Es gibt bereits positive Beispiele und funktionierende nationale Finanztransaktionssteuern – es liegt also an der Ausgestaltung der Steuer.

Ein beliebtes Beispiel gegen die Steuer ist die in den 80er Jahren in Schweden eingeführte Finanztransaktionssteuer, die bereits nach wenigen Jahren mangels Aufkommen wieder abgeschafft wurde. Grund dafür war aber die mangelhafte Umsetzung, da nur in Schweden durchgeführte Transaktionen besteuert wurden, im Ausland von Schwedinnen und Schweden durchgeführte Transaktionen aber nicht.

Nicht nur, dass das Beispiel Schweden sich auf Grund der damaligen Ausgestaltung wenig zur grundlegenden Kritik eignet, es lassen sich sogar Beispiele finden, die genau das Gegenteil zeigen. So hat zum Beispiel Großbritannien schon seit 1694 eine Steuer auf bestimmte Finanztransaktionen erhoben: Die Stamp duty reserve tax (SDRT) wird auf den Handel mit Aktien inländischer Gesellschaften an der Börse erhoben. Das Aufkommen lag vor der Finanzkrise 2007/2008 bei etwa sechs Milliarden Euro pro Jahr, und beträgt aktuell ca. vier Milliarden Euro pro Jahr. Es scheint, der Handel an einem so wichtigen Börsenplatz ist für die Händler attraktiver, als die Belastung einer geringen Steuer auf die gehandelten Finanzprodukte. Zusätzlich zum nicht unerheblichen Aufkommen, ist die Steuer zudem so ausgestaltet, dass die Rechte aus dem Besitz einer Aktie nur ausgeübt werden können, wenn auch die Steuer bezahlt wurde. Würde man dieses Prinzip auch auf eine europäische FTS übertragen (was derzeit noch nicht geplant ist), so könnte man die Steuer auch auf beispielsweise eine Siemensaktie, die zwischen zwei EU-Ausländern außerhalb des Steuergebietes gehandelt wird, erheben. Dies hätte zur Folge, dass erst, wenn diese bezahlt wird, irgendwelche Rechte, die mit der Aktie verbunden sind wahrgenommen werden können.

Abbildung 1: Umsatzentwicklung von CAC 40 und DAX 30 in den letzten zwei Jahren, Quelle: Schäfer (2015, S. 11).

Auch die Erfahrungen Frankreichs und Italiens, die 2012 und 2013 eine Finanztransaktionssteuer auf den Handel mit inländischen Aktien und bestimmten Derivate-Transaktionen eingeführt haben, zeigen, dass die Steuer auch in einzelnen Ländern erfolgreich, wenn auch mit geringem Steuerungswirkungen, eingeführt werden kann. Spürbare negative Effekte auf die Finanzmärkte blieben aus. So konnten sowohl in Frankreich als auch in Italien nur ein geringer bis gar kein Rückgang des Handelsvolumens festgestellt werden. Ein Vergleich des französischen Aktienindex CAC40 mit dem deutschen DAX30 zeigt für den CAC40 sogar ein deutlich höheres Umsatzwachstum als für den DAX30.

Ausweichreaktionen, soweit sie stattgefunden haben, sind mit der jeweiligen länderspezifischen Ausgestaltung (z.B. stark eingeschränkte Bemessungsgrundlage) zu erklären und im Kommissionsvorschlag bereits bedacht. Ein weiterer und zudem nicht ganz unerheblicher Grund, der neben dem generierten Steueraufkommen für eine FTS spricht, ist die mit ihr einhergehende Regulierung des Finanzsektors. Wenn man bedenkt, dass deregulierte Märkte mit hochkomplexen, teilweise sogar abstrakten oder nur virtuell existierenden Finanzinstrumenten (welche mit realer Wertschöpfung und Wirtschaftswachstum nichts zu tun haben) die letzte Krise erst mit verursacht haben, kann man sogar die Forderung aufstellen, dass die Regulierung und insbesondere die Stabilisierung des Finanzsektors ein höheres Ziel ist als die Generierung von Steueraufkommen für die Staaten. Insbesondere beim Hochfrequenzhandel könnte die Einführung einer FTS zu einer deutlichen Reduktion des Volumens bis hin zu einem kompletten Erliegen führen. Auch bei anderen Finanzprodukten wird die Finanztransaktionssteuer zumindest zu einer Reduzierung der Umschlagsgeschwindigkeit auf den Finanzmärkten führen.

Fakt 4: Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer führt zu einer Regulierung des Marktes und verringert damit die Wahrscheinlichkeit neuer Krisen.

Es gibt also gute Gründe, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen. Ein genauer Blick auf die Argumente der Gegner einer solchen Steuer macht zudem deutlich, wie wichtig die Steuer ist. Die Aussage, die FTS führe zu Verlagerungen, ist alleine noch kein stichhaltiges Argument gegen eine Steuer, da man so gegen fast jede Steuer argumentieren könnte. Außerdem wird die Belastung durch die Steuer beklagt. Bei Steuersätzen zwischen 0,01 und 0,1 Prozent – bei gleichzeitigen Milliardengewinnen, Strafzahlungen in Milliardenhöhe, bei Prozesskostenbelastungen sowie den Kosten für die Rettung systemrelevanter Banken, welche die FTS um ein vielfaches übersteigen – wirken solche “Gegenargumente“ unglaubwürdig.

Fakt 5: Keine negativen Auswirkungen auf die nationale Wirtschaft und die Rentensysteme.

Häufig wird auch immer noch das Argument vorgebracht, dass die kapitalgedeckten Rentensysteme und die Finanzierung der realen Wirtschaft unter einer Finanztransaktionssteuer leiden würden. Dies übersieht, dass zum einen normale Kreditgeschäfte nicht von der FTS betroffen sein werden. Langfristige Geldanlagen werden sogar belohnt, weil häufiges Umschlagen der Portfolios zu höheren Steuerzahlungen führt. Da 92 % der Handelstransaktionen allein zwischen Finanzinstituten ohne Kundenbindung stattfinden, trägt dieser Sektor eben auch den Hauptanteil des Steueraufkommens. Aufgrund der niedrigen Steuersätze fallen die zusätzlichen Kosten für die kapitalgedeckte Altersvorsorge verschwindend gering aus. All dies wurde im Steuermythos Nr. 10 der Steuermythen auch schon ausführlich dargelegt.

Ein kurzer Blick nach Deutschland

In Deutschland gab es erstmals ab 1885 im Rahmen des Reichsstempelgesetzes eine Steuer auf Wertpapiertransaktionen, die 1922 in Börsenumsatzsteuer umbenannt wurde. Sie wurde zwischen 1944 und 1948 ausgesetzt und bestand danach bis sie im Rahmen des Finanzmarktförderungsgesetzes 1991 abgeschafft wurde. Im Zuge der Finanzkrise und – aufgrund der teuren Bankenrettungen – folgenden Staatsschuldenkrise, wurde auch in Deutschland die Einführung einer Finanztransaktionssteuer wieder ernsthaft diskutiert. Nachdem die Steuer, wie oben erwähnt, auf europäischer Ebene erstmal gescheitert war, sträubte sich vor allem die FDP in der Regierungskoalition gegen eine Weiterführung der Verhandlungen in kleinerem Rahmen. Gegen das Versprechen der Bundesregierung die FTS trotzdem weiter zu verhandeln stimmte die SPD Mitte 2012 dem europäischen Fiskalpakt sowie dem Euro-Rettungsfond ESM zu. Anfang 2013 wurde die Steuer im Rahmen der „verstärkten Zusammenarbeit“ mit zuerst elf europäischen Staaten weiter verhandelt, wobei Estland Anfang 2016 aus den Gesprächen ausstieg. Im Koalitionsvertrag wurde sich auf eine Finanztransaktionssteuer mit breiter Bemessungsgrundlage und niedrigem Steuersatz im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit verständigt. Es wird dort ausgeführt, dass die Besteuerung möglichst alle Finanzinstrumente erfassen soll, insbesondere Aktien, Anleihen, Investmentanteile, Devisentransaktionen sowie Derivatekontrakte. Die Steuer soll so ausgestaltet werden, dass Ausweichreaktionen unattraktiv werden.

Die am 11. Oktober 2016 erfolgte grundsätzliche Einigung auf eine Finanztransaktionssteuer im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit lässt auf eine baldige Einführung in immerhin 10 EU-Ländern hoffen. Dieser wichtige Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit ist dabei vor allem dem Engagement Österreichs zu verdanken. Sollte die EU-Kommission bald darauf einen Gesetzentwurf vorlegen, könnte die Steuer erstmals 2018 erhoben werden.


Diesen Artikel und weitere Steuermythen finden sie hier.