Lothar Binding im Interview mit der Rhein-Neckar-Zeitung

RNZ-Interview vom 8. Januar 2017, Dr. Micha Hörnle

 

Vor 50 Jahren trat Binding in die SPD ein. Aus dem Starkstromelektriker wurde 1998 ein Bundestagsabgeordneter.

Am morgigen Sonntag wird Lothar Binding (66) dafür geehrt, dass er seit 50 Jahren in der SPD ist. Elf Jahre, von 1989 bis 2000, war er Stadtrat, 1994 kandidierte er erstmals für den Bundestag, vier Jahre später gelang ihm der Einzug. 1998 und 2002 wurde er direkt gewählt, seitdem zog er über die Landesliste ein. Die SPD wollte von ihm wissen, warum er Genosse wurde – und wie er mit 48 Jahren zu einem „spätberufenen“ Berufspolitiker wurde.

 

Herr Binding, wieso traten Sie vor 50 Jahren als 16-Jähriger in die SPD ein?

Bei uns zu Hause war Politik immer Thema, auch am Mittagstisch. Mein Vater war im Gemeinderat. Da gehört es fast zur Tradition unserer Familie, in die Partei einzutreten.

Und wieso mit 16 Jahren?

Nachdem ich bei Siemens in Kassel als Jugendvertreter, also Betriebsrat für die Auszubildenden, gewählt worden war, trat ich in die IG Metall ein. Ich lernte ja Starkstromelektriker. Diese Arbeit hat mich politisiert – zumal wir einen ziemlich autoritären Montageleiter hatten. Den Begriff soziale Gerechtigkeit habe ich ziemlich früh buchstabieren gelernt.

Haben Sie diesen Schritt, Genosse zu werden, schon einmal bereut?

Nein, es gab aber im Zusammenhang mit dem Nato-Doppelbeschluss Zweifel. Damals wusste ich nicht, ob ich mit Teilen der Parteispitze noch übereinstimme.

Würden Sie heute einem 16-Jährigen raten, in die SPD einzutreten?

Ja, sofern es ihm oder ihr um eine gerechte Gesellschaft und um Frieden geht. In dieser Partei erhält man eine ethisch-moralische Richtschnur, an der man sich orientieren kann. Das schließt auch ein, dass man über Fehler diskutiert.

Sind auch Ihre beiden Söhne Genossen?

Ja, beide sind eingetreten, ohne dass ich etwas gesagt habe. Bei uns zu Hause gibt es schon länger die Debatte, dass es klug ist, in eine Partei einzutreten. Wenn sich eine Bevölkerung aus den zwei Prozent der Bürger, die in einer Partei sind, das gesamte Führungspersonal aussuchen muss, ist das nicht ratsam. Was für ein Verlust! Man weiß ja nicht, welche Bundeskanzler in den restlichen 98 Prozent zu finden wären.

Wie kommt es, dass Sie immer den Ruf hatten, ein „linker“ Sozialdemokrat zu sein, wenn Sie doch aus der „rechten“ nordhessischen SPD stammen?

Mein Vater hatte in Nordhessen immer den Ruf, ein „Linker“ zu sein. Ich selbst wurde sehr früh Jugendleiter in der DLRG. Die Lebensretter haben mit parteipolitischer Orientierung nichts zu tun, die Jugendorganisation wurde aber oft als reine Nachwuchsorganisation gesehen. Da war ich anderer Auffassung: Wir müssen uns als ganze Menschen begreifen. Von daher gab es für mich immer eine gesamtgesellschaftliche Einbettung. Und so hieß es in der DLRG beispielsweise: „Wasserrettung heißt auch Wasser retten“ – und damit gegen Atomkraft zu sein.

Sie wohnen seit 1972 in Heidelberg. Was war das für eine SPD damals, so unter Reinhold Zundel?

In Heidelberg tauchte ich die ersten sechs, sieben Jahre gar nicht in der Partei auf. Ich tat mich damals mit ihr schwer, vor allem, wie Zundel mit dem Studentenprotest umging. Ich hatte das Gefühl, dass ein SPD-Oberbürgermeister es sich zu leicht macht, mit unbeugsamer Staatsmacht zu reagieren und nicht verstand, was der gesellschaftliche Wandel hinter der Bewegung bedeutet. Ich hatte keine Neigung, mich da zu engagieren – zumal ich drei Fächer, Physik, Mathematik und Philosophie, studierte und mich lange weiter in der DLRG-Jugendarbeit engagierte. Erst später kam ich dann zu den Jusos – als Kassierer.

War Ihnen damals schon klar, dass Sie mal Berufspolitiker werden?

Das hatte ich nie im Blick. Ich habe lange im Rechenzentrum Netzwerke geplant und gebaut. Von daher hatte ich immer eine berufliche Orientierung. Politik war ein Ehrenamt. Politisch engagierte ich mich zum ersten Mal, als bei uns in der ganzen Weststadt plötzlich Poller zur Verkehrsberuhigung standen – und niemand die Bürger zuvor gefragt hatte. Erst später, 1985, kandidierte ich für den Gemeinderat.

Was war Ihre Motivation, für den Gemeinderat zu kandidieren?

Das war die Debatte der linken Kräfte in der SPD, die eine andere Verkehrspolitik forderten. Da hatte ich viel mit „Bürgern für Heidelberg“ und ihrem Eintreten für eine ökologisch sensible Stadtpolitik zu tun. Da bot sich an, dass ich kandidiere.

Und wie kamen Sie von der Kommunalpolitik in die Bundespolitik?

Eher durch Zufall. Der Theologe Wolfgang Huber rief mich an und erklärte mir, dass er für den Bundestag kandidieren wollte. Ich zögerte kurz und sagte: „Ich kandidiere auch.“ Später wurde Huber dann evangelischer Landesbischof für Berlin und Brandenburg, zog seine Kandidatur zurück – und unterstützte mich.

Was lag Ihnen mehr: Kommunal- oder Bundespolitik?

Das ist nicht vergleichbar, beide haben ihren Eigenwert. In einer Stadt ist schneller zu sehen, was man beschlossen hat – und man bekommt größeren Ärger, wenn etwas nicht geklappt hat. In der Bundespolitik sieht der Bürger oft die Arbeit des Parlamentes nicht, man kann aber strukturpolitisch viel bewegen. Und auch da ist mein Hauptthema im Finanzausschuss Gerechtigkeit: gegen Steuerbetrug und für gerechte Steuersätze. Und das versuche ich den Leuten auch zu vermitteln – und zwar möglichst verständlich. Auch das ist eine Sache der Gerechtigkeit.

Sie sind ein Finanzfachmann, aber wieso kennt man Sie bundesweit vor allem als Nichtraucherschützer?

Das Deutsche Krebsforschungszentrum hatte einmal alle Abgeordneten der Region eingeladen und eine Studie zum Passivraucherschutz vorgestellt. Vorher hatte ich nicht daran gedacht, dass man am Passivrauchen sterben kann. Und danach wusste ich, dass wir unbedingt dagegen etwas tun müssen.

Haben Sie selbst geraucht?

Ja, zwölf Jahre. Ich fing an, als ich in die Lehre kam, und habe aufgehört, als ich meine Frau kennenlernte. 30 Jahre habe ich mich um dieses Thema nicht gekümmert.

Sie kandidieren dieses Jahr noch einmal für den Bundestag. Ist das, mit dann 67 Jahren, Ihre letzte Legislaturperiode?

Davon gehe ich aus.

Wie kommen Sie eigentlich mit Ihren beiden Heidelberger Bundestagskollegen, Karl A. Lamers (CDU) und Franziska Brantner (Grüne), aus?

Wenn es um die Region geht, treten wir gemeinsam auf, vor allem wenn es um Wissenschafts- oder Stadtentwicklungsfragen geht. Wir gehen freundlich miteinander um. Das ist nicht immer leicht, denn wir kooperieren zwar in vielen Fragen, aber gleichzeitig konkurrieren wir.

Vielen Dank für das Interview!