Der Nahe Osten: Chance auf Frieden?
26. Juni 2002
"Sharon erklärt, es werde auf absehbare Zeit keinen palästinensischen
Staat geben, sein Koalitionspartner, die Arbeiterpartei stellt sich
einen "provisorischen Staat" auf dem zersplitterten Gebiet der jetzigen
Autonomieverwaltung vor,
Arafat plant einen unabhängigen
pälästinensischen Staat in den Grenzen von 1967, Terroristen wollen den
Staat Israel annullieren - und wenn nichts geschieht, bleibt alles wie
es ist und Israel kontrolliert die in unzusammenhängenden Reservaten
lebenden Palästinenser", so fasste der Bundestagsabgeordnete Lothar
Binding den komplexen Hintergrund für eine Veranstaltung mit dem
schlichten Titel: "Chance auf Frieden in Nahost" zusammen. Zuvor hatte
der Hausherr des Kunstvereins, Hans Gerke erläutert, dass eine solche
Diskussion, gerade nach der intensiven künstlerischen Zusammenarbeit mit
Micha Ulmann und Dani Karavan, auch im Kunstverein Raum haben sollte.
Auf Einladung von Lothar Binding waren der Generalbevollmächtigte der
Palästinensischen Autonomiebehörde in Deutschland Abdallah Frangi und
der ehemalige israelische Botschaftsrat Grigori Alroi-Arloser, zwei
bekannte Nahostexperten, nach Heidelberg gekommen.
Beide Seiten waren sich einig, dass mit der aktuellen Situation der
absolute Tiefpunkt des israelisch-palästinensischen Verhältnisses
erreicht sei. Frangi führt das Scheitern von Camp David auf die
Weigerung Israels zurück, das in Oslo 1993 vereinbarte Friedensabkommen
umzusetzen: "Der permanente Weiterbau israelischer Siedlungen auf
pälestinensischem Gebiet und der Umgang Israels mit dem
pälästinensischen Ostjerusalem, haben den in Oslo vereinbarten
Friedensprozess von Anfang an gestört und durch militärische Eskalation
ersetzt" so Abdallah Frangi.
"Die zarte Blume des Vertrauens ist
gänzlich zerstört, die Angst vor neuen Terroranschlägen ist in Israel
allgegenwärtig", so berichtet Grisha Arloser, "sie bestimmt das
Einkaufsverhalten, die Reiserouten, sie sorgt sogar dafür, dass man
seine Kinder nicht mehr auf Geburtstage lässt". Auf beiden Seiten
herrschen Ratlosigkeit vor, beide sprechen von Vertrauensverlust,
persönlicher Unsicherheit der dort lebenden Menschen, es gibt
Abwanderung. Der kleinste gemeinsame Nenner beider Seiten scheint
gegenwärtig eine "Zukunft ohne den Anderen" zu sein.
Diesen Zustand zu überwinden und wieder Lösungen für ein gewaltfreies
Nebeneinander zu entwickeln, setzt, so Alroi, die Antwort auf die Frage
voraus, ob es sich im nahen Osten um einen Territorialkonflikt oder aber
um einen Legitimationskonflikt hinsichtlich der israelisch-jüdischen
Existenz handelt. Auch Abdallah Frangi sieht die Situation sehr
kritisch, "ich bin einer von denen, die dem Nahen Osten eine rosige
Zukunft prophezeit haben, aber irgendwann kommt man an eine Grenze, an
der es nicht mehr auszuhalten ist - die Israelis sind diejenigen", so
führt Frangi weiter aus, "die Macht haben, etwas zu verändern, aber ihre
Vorschläge zeigen, dass sie kein Verständnis für das palästinensische
Bedürfnis nach einer Staatsgründung haben". Deshalb sei auch die
Ausrufung der noch in Oslo vereinbarten Staatsgründung im Jahr 1998
nicht zustande gekommen.
Für die Zukunft formulierten beide als erstes Ziel ein gewaltloses
Nebeneinander, friedliches Miteinander werde wohl noch lange auf sich
warten lassen. Deshalb sei ein "Prozess der Trennung und Entflechtung"
wichtig, der aber, wie Frangi zu bedenken gibt, "für uns Palästinenser
nur denkbar ist, wenn die Israelische Armee die Palästinensischen Gebiete
verlässt, die Siedlungspolitik aufgibt" und das Palästinensische
Territorium weitgehend eine geographische Einheit bilde. Auf der
Grundlage "einzelner Kantone, getrennt durch Straßen unter ständiger
Kontrolle Israels, kann sich unsere Demokratie nicht entwickeln."

In der sich anschließenden lebhaften Diskussion wurden sowohl die
militärischen Angriffe Israels, als auch die Selbstmordterroranschläge
der Palästinenser thematisiert. Es sei auffällig, formulierte ein
Besucher, dass es in Zeiten, in denen verhandelt wurde keine
Selbstmordattentate gegeben habe.
Mit einer kurzen Replik auf die verschiedenen neueren
Friedensinitiativen: den saudiarabischen Abdallah Vorschlag, den EU-Plan
und die Initiative der Deutschen Bundesregierung verabschiedete Binding
seine beiden Gesprächspartner nicht ohne Hoffnung, dass der
Friedensprozeß wieder in Gang kommen möge.
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