Quelle: RNZ, 22.06.16

Quelle: RNZ, 22.06.16

Kurzer Hintergrund:

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat am 21. Juni 2016 mehrere Klagen gegen das das so genannte OMT-Programm (OMT = Outright Monetary Transactions; auf Deutsch: „vorbehaltlose geldpolitische Geschäfte“) der Europäischen Zentralbank (EZB) abgewiesen. Bei dem OMT-Programm handelt es sich um die Möglichkeit der EZB, Staatsanleihen von Euro-Mitgliedstaaten aufzukaufen, um Spekulationen gegen Euro-Staaten (insbesondere Italien, Spanien, Portugal) entgegenzutreten. Die alleinige Ankündigung des EZB-Präsidenten Mario Draghi im Jahre 2012 hatte eine beruhigende bzw. zinssenkende Wirkung auf die Finanzmärkte ausgeübt. Peter Gauweiler wendete sich trotz des Erfolgs des Programms mit einer Verfassungsklage vor dem Bundesverfassungsgericht, weil insbesondere die Haushaltsrechte des Deutschen Bundestags durch das EZB-Vorhaben verletzt seien. Das Bundesverfassungsgericht überwies diese Klagen zunächst an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, um danach abschließend zu entscheiden. Der EuGH entschied im Jahre 2015, dass das OMT-Programm unter bestimmten Auflagen rechtmäßig sei. Peter Gauweiler, einer der Hauptkläger, kritisierte das Urteil des europäischen Gerichts scharf und bezeichnete es als eine „Kriegserklärung für das Bundesverfassungsgericht“. Offensichtlich hat sich Herr Gauweiler hierbei getäuscht, da sich die Karlsruher Richter dem EuGH-Urteil angeschlossen haben. Weniger vornehm formuliert: Gauweiler hat verloren.

Argumente von Peter Gauweiler in der Rhein-Neckar-Zeitung nach der Urteilsverkündung und Repliken von Lothar Binding:

Argument Peter Gauweiler:

„Die Europäische Zentralbank unter Mario Draghi hätte mit seinen Milliardenprogrammen die Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland verletzten können.“

Replik Lothar Binding:

Herr Gauweiler argumentiert im Konjunktiv mit „hätte“. Tatsache ist aber, dass das OMT-Programm bislang von noch keinem Euro-Staat in Anspruch genommen wurde, das heißt, es sind auch noch keine Staatsanleihekäufe als OMTs erfolgt. Ziel der EZB war und ist es, Spekulationen von Hedge Fonds und anderen „Finanzheuschrecken“ insbesondere gegen südeuropäische Staaten entgegenzutreten, in dem sie glaubhaft versichert, in Schwierigkeiten befindliche Länder notfalls durch Anleihekäufe zu unterstützen. Letztlich hat die EZB mit der reinen Ankündigung des OMT-Programms die Zinsen dieser Staaten wieder auf ein „normales Niveau“ gebracht und die Spekulationsblasen der Finanzjongleure gegen einzelne Euro-Staaten zum Platzen gebracht. Und dies wurde erreicht, ohne dass ein einziger Euro geflossen ist. Aus diesem Grund ist es gerechtfertigt, dass OMT-Programm als eines der effizientesten Maßnahmen zu bezeichnen, die mir bekannt sind. Die angebliche massive Belastung des deutschen Bundeshaushalts, die Peter Gauweiler an die Wand gemalt hat, ist nichts weiter als eine Mär.  

Argument Gauweiler:

„Das Bundesverfassungsgericht hat leider nicht den Mut gefunden, sich dem krassen Fehlurteil des Europäischen Gerichtshofes über das Staatsanleiheprogramm wirkungsvoll entgegenzutreten.“

Replik Lothar Binding:

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet nicht nach dem Kriterium, „Mut“, sondern nach Gesetz und Recht. Der EuGH hatte in 2015 die Bedingungen für das OMT-Programm festgelegt. So dürfen nur Staatsanleihen eines Landes gekauft werden, das sich unter dem Euro-Rettungsschirm befindet. Und unter diesen Rettungsschirm kommt ein solcher Staat nur, wenn er strenge Auflagen einhält, die verhindern, dass er einfach so weitermacht wie bisher, aber von der EZB finanziert. Damit ist die auch im europäischen Recht verbotene Staatsfinanzierung faktisch ausgeschlossen. Zudem muss der um Unterstützung bittende Staat noch einen Zugang zum Anleihemarkt haben – das heißt, er muss noch Staatsanleihen überhaupt verkaufen können. Diesen Auflagen des EuGH hat sich das Bundesverfassungsgericht voll angeschlossen.

Argument Gauweiler:

„Das Bundesverfassungsgericht muss auch in Zukunft immer wieder entscheiden, ob der unabänderliche Verfassungskern des Grundgesetzes durch die EZB und den Europäischen Gerichtshof verletzt wird. Jetzt steht allerdings auch fest, dass Kompetenzüberschreitungen der EU-Organe nicht wie bisher von Bundestag und Bundesrat tatenlos hingenommen werden.“

Replik Lothar Binding:

Dass der „unabänderliche Verfassungskern“ (gemeint ist hier insbesondere Artikel 20 Grundgesetz, in dem Deutschland insbesondere als Republik, Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat und föderaler Bundesstaat festgelegt wurde) künftig vom Bundesverfassungsgericht immer wieder überprüft werden kann, ist eine Binsenweisheit, die wohl von jedem Abgeordneten des Deutschen Bundestages uneingeschränkt geteilt wird. Allerdings verschweigt Herr Gauweiler Artikel 23 des Grundgesetzes, der beinhaltet, dass „die Bundesrepublik Deutschland zur Verwirklichung eines vereinten Europas bei der Entwicklung der Europäischen Union mitwirkt, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsätzen der Subsidiarität verpflichtet ist. Der Bund kann hierzu durch Gesetz Hoheitsrechte übertragen.“ Es ist doch offensichtlich, dass wir in einer Welt leben, in der wir nicht mehr allein nationalstaatlich zu Lösungen kommen, die annähernd den komplexen Ansprüchen genügen. Zu denken ist hier nur beispielhaft an die Finanzmarktkrise, innere Sicherheit, Umweltschutz, grenzüberschreitender Warenverkehr. Genau aus diesem Grunde hat Deutschland zu Recht bestimmte Souveränitätsrechte an die EU übertragen. Herr Gauweiler unterstellt aber in seiner Argumentation, dass es quasi permanent zu Kompetenzüberschreitungen der EU gekommen ist, die „von Bundestag und Bundesrat tatenlos hingenommen werden.“  Zum ersten ist die scheinbare Tatenlosigkeit eine reine Unterstellung, die diese Verfassungsorgane in Misskredit bringt. Zum zweiten gehörte Herr Gauweiler selbst dem Deutschen Bundestag als Abgeordneter von 2002-2015 an. Letztlich kritisiert er sich selber, dass er nicht den Mut gefunden hat, Gesetzesänderungen im Hinblick auf die europäische Integration zu beantragen und durchzusetzen, die seinen Auffassungen eher entsprechen. Dies unterstreicht die ganze Absurdität in seiner Argumentation. Nun sind Teile dieser Argumentation erklärbar, hat Herr Gauweiler als Mitglied des Deutschen Bundestages nicht oft im Bundestag, sondern viel mehr in seiner Anwaltskanzlei gearbeitet.

Argument Gauweiler:

„Wir waren nicht zum ersten und letzten Mal in Karlsruhe. Gegen das QE-Programm haben wir eine weitere Klage in Karlsruhe eingereicht.“

Replik Lothar Binding:

Mit dem QE-Programm („Quantitative Easing; auf Deutsch: quantitative Lockerung) ist das seit März 2015 durchgeführte EZB-Programm zum Kauf von Wertpapieren gemeint, das bis zum März 2017 laufen soll. Hierbei kauft die

EZB in erster Linie Staatsanleihen und seit Juni 2016 auch Unternehmensanleihen aus der Eurozone. Seit April 2016 werden monatlich Wertpapiere mit einem Volumen von 80 Milliarden Euro aufgekauft (bis März 2016 waren es monatlich 60 Milliarden Euro). Ziel der EZB ist es, eine drohende Deflation in der Eurozone – also einer Situation, in der es zu einem dauerhaften Verfall der Preise und einer langwierigen wirtschaftlichen Lähmung kommen könnte – zu vermeiden. Tatsächlich liegt die derzeitige Inflationsrate (= Preissteigerungsrate) in der Eurozone bei null Prozent. Das Stabilitätsziel der EZB für die Inflationsrate der Eurozone liegt aber bei zwei Prozent. Neben der Erhöhung der Inflationsrate strebt die EZB mit dem Aufkauf der Wertpapiere auch eine Ankurbelung des Wirtschaftswachstums in der Eurozone an. Durch den Verkauf dieser Anleihen erhalten die Banken zusätzliches Geld, das sie insbesondere zur Kreditfinanzierung der Unternehmen in der Eurozone verwenden sollen. Die Unternehmen können mehr investieren: neue Maschinen für ihr Unternehmen kaufen, die Warenvorräte aufstocken, neue Mitarbeiter einstellen. Insgesamt soll also die Investitions- und Konsumnachfrage der Eurozone und damit auch die Inflation steigen. Unabhängig davon, ob man jedes Detail dieses Programms (z.B. Aufkauf auch von Unternehmensanleihen) unterstützt, wird eine Verfassungsklage dagegen keinen Erfolg haben. Unbestritten hat die EZB das Mandat eine Inflationsrate von nahe zwei Prozent anzustreben und dafür geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Da dieses Ziel allein durch die Senkung des Leitzinses auf null Prozent noch nicht erreicht wurde, war die EZB gezwungen, auch unkonventionelle Maßnahmen, wie den Aufkauf von Wertpapieren, mit einzubeziehen. Auch andere Notenbanken (z.B. USA, Japan, Großbritannien, Schweiz) haben dieses Instrument zur Ankurbelung von Wachstum und Justierung der Inflation bereits gewählt. Die Bilanzsumme der EZB liegt trotz dieses Programms gegenwärtig erst auf dem Niveau des Jahres 2012.  

Argument Gauweiler:

„Wir sind in eine europäische Haftungsunion geraten, die der Bundestag nie beschlossen hatte und die von der Politik feierlich ausgeschlossen war.“

Replik Lothar Binding:

Abgesehen von einer Haftung, die dem Unionsgedanken in der Europäischen Union automatisch innewohnt, ist die Behauptung, dass wir in eine „europäische Haftungsunion“ geraten sind, eine reine Unterstellung. Gerade das OMT-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat gezeigt, dass mögliche Aufkäufe von Staatsanleihen nur unter bestimmten Reformauflagen stattfinden. Und dies ist nur möglich, wenn ein um Unterstützung bittendes Land unter den Euro-Rettungsschirm kommt. Da die Gewährung von Darlehen und Garantien seitens Deutschlands im Rahmen des Euro-Rettungsschirms die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages betrifft, bedürfen zustimmende Entscheidungen zu solchen Maßnahmen innerhalb der Entscheidungsgremien des Euro-Rettungsschirms der Zustimmung entweder des Plenums des Bundestages oder zumindest des Haushaltsausschusses. Damit ist die Mitbestimmung des deutschen Parlaments gegeben. Nicht zu vergessen ist zudem, dass Deutschland im hohen Maße durch die relative Schwäche des Euros gegenüber dem Dollar sehr stark profitiert. Die gerade in Deutschland traditionell sehr starken exportorientierten Unternehmen können vergleichsweise günstig ihre Waren und Maschinen ins Ausland exportieren. Dies trägt auch im hohen Maße zu dem Beschäftigungsboom in Deutschland bei. Zudem hat der Bundeshaushalt durch die niedrigen Zinsen allein für das Budget 2017 (also in nur einem Jahr) 20 Milliarden Euro eingespart (verglichen mit dem Jahr 2008). Gegenwärtig kann der Bund zehnjährige Bundesanleihen auf dem Markt bringen, ohne einen Euro Zinsen dafür zu bezahlen. Neben den negativen Auswirkungen der Niedrigzinspolitik (z.B. für Sparer, Altersvorsorge) sollte man deren positive Aspekte nicht außer Betracht lassen. Insgesamt betrachtet sind wir in Europa in einer „Verantwortungsunion“ aber nicht in einer „Haftungsunion“.

Fazit:

Die gegen die Völker gerichteten Populisten in Deutschland und Europa scheinen gegenwärtig auf dem Siegeszug zu sein. Wenn man sich, wie an diesem Beispiel geschehen, näher mit ihren Argumenten auseinandersetzt, dann entpuppen sie sich als ideologische Luftblasen, die dem Faktencheck in keiner Weise standhalten.