Interview zur Herbsttagung von IWF und Weltbank in Washington

Der SPD-Finanzexperte Lothar Binding  hält die wirtschaftlichen Abschottungstendenzen des amerikanischen Präsidenten Donald Trump für falsch. Trump säge mit der Idee, Freihandelsabkommen aufzukündigen an dem Ast, auf dem er sitze. „Zu denken, man könne das eigene Land durch die Erhebung von Zöllen stärken ist einfach nur naiv“, sagt Binding, der die Delegation von Abgeordneten des Deutschen Bundestages bei der Herbsttagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Washington vom 11. bis 14. Oktober 2017 geleitet hat, im Interview.

Was die grundsätzlich positive weltwirtschaftliche Entwicklung derzeit angeht, so fordert er IWF und Weltbank auf, diese zu nutzen, „um Armut zu bekämpfen, den Klimawandel zu stoppen und weltweit Jobs zu schaffen“. Optimistisch ist der SPD-Politiker mit Blick auf die Entwicklung in der Eurozone. „Man hat gesehen, dass bestimmte Hilfen wirken. Griechenland bekommt wieder Geld am Kapitalmarkt.“ In Deutschland ist es seiner Ansicht nach in der derzeitigen guten konjunkturellen Lage wichtig, in die Menschen zu investieren. „Wenn die Handwerksbetriebe derzeit ausgelastet sind, muss in die Ausbildung von Handwerkern investiert werden.“ Das Interview im Wortlaut:

Herr Binding, die Entwicklung der Weltwirtschaft wird von IWF und Weltbank positiv eingeschätzt. War die Stimmung in den Tagen von Washington entsprechend euphorisch?

Wir haben weltwirtschaftlich gesehen eine gute Wachstumsphase, darin waren sich alle Gesprächspartner einig. Dieses Wachstum müssen auch IWF und Weltbank nun nutzen, um Armut zu bekämpfen, den Klimawandel zu stoppen und weltweit Jobs zu schaffen. Mit Blick auf die USA lässt die Euphorie allerdings deutlich nach, denn Präsident Trump sieht die multinationalen (Hilfs-) Organisationen kritisch – er ist mit bilateralem Blick unterwegs. Das spüren wir auch in Deutschland, wenn er, ohne Hintergründe und Ursachen zu berücksichtigen, unseren Außenhandelsüberschuss gegenüber den USA kritisiert.

Dazu passt, dass sich die Weltbank stärker engagieren will, um gegen Armut und Klimaveränderungen in der Welt anzugehen. Einer Etaterhöhung verweigern sich aber vor allem die USA mit dem Verweis darauf, dass China, immerhin einer der Hauptkonkurrenten auf dem Weltmarkt, Empfänger von Weltbank-Geldern ist. Ist das aber nicht tatsächlich ein Problem?

Ob die wirtschaftliche Stärke Chinas wesentlich ausgerechnet von den Kreditvergaben der Weltbank abhängt, wäre noch zu zeigen. Es geht um insgesamt etwa 60 Milliarden US-Dollar Kreditvolumen für ein riesiges Land. Das ist vergleichbar mit der Summe für Mexiko. Aber es gibt auch gute Gründe für Weltbank-Projekte in China. Das Land ist zwar im Osten reich, im Westen aber bettelarm und natürlich steht die Weltbank auch in gewissem Wettbewerb mit anderen Entwicklungsbanken in Asien, auch mit der auf Initiative Chinas neu gegründeten Entwicklungsbank AIIB (Asien Infrastructure Investment Bank) an der sich viele europäische Länder, auch Deutschland, beteiligen. Insgesamt geht es vielmehr um eine kooperative Plattform mit China als um Geld. Die politische Dimension ist wichtiger als die finanzielle.

IWF und Weltbank fordern auch mehr Anstrengungen für Globalisierung und weltweiten Handel. Auch hier geht der skeptische Blick in Richtung Donald Trump

Bei den Gesprächen hat sich gezeigt, dass viele Experten – auch in den USA – über die von Trump angedachte Aufkündigung des Freihandelsabkommens Nafta mit Mexico und Kanada den Kopf schütteln. Das Abkommen stärkt schließlich auch den Handel mit den USA. Hier sägt Trump an dem Ast auf dem er selbst sitzt. Ähnlich ist auch die Kritik an Deutschland nicht nachvollziehbar. Deutsche Unternehmen haben in den USA mehr als 800.000 Arbeitsplätze geschaffen. Zu denken, man könne das eigene Land durch die Erhebung von Zöllen stärken ist einfach nur naiv.

Stichwort Freihandelsabkommen: Immer wieder ist zu hören, dass die Europäische Union Dank der Freihandelsabkommen mit Afrika die dortigen Märkte mit subventionierten Gütern überschwemmt und damit die heimischen Produzenten aus dem Markt drängt. Stimmt das?

Ja, das ist so, weil die Handelsbedingungen oft von den Industrienationen unter Beteiligung von IWF und Weltbank vorgegeben werden. Dabei wollen die Industrienationen die Rohstoffe und nehmen die schnelle Zerstörung traditioneller und bäuerlicher Strukturen in Kauf – die anschließend mit „Entwicklungshilfe“ ganz langsam wieder aufgebaut werden sollen. Aus entwicklungspolitischer Sicht sollten wir in Afrika umgekehrt als Nachfrager von Produkten aus den dortigen Ländern auftreten, die mit angepasster Technologie produziert und nicht in Monokulturen sondern im Ökolandbau angebaut werden.

Mit Blick auf die Eurozone spricht der IWF von positiven Entwicklungen. Teilen Sie die Einschätzung?

Ja, durchaus. Der IWF, so interpretiere ich unsere Gesprächspartner, ist inzwischen sogar von der Austeritätspolitik, etwa gegenüber Griechenland, ein wenig abgerückt. Man hat gesehen, dass bestimmte Hilfen wirken. Die letzte Tranche aus dem ESM wurde bisher nicht ausgenutzt, Griechenland bekommt wieder Geld am Kapitalmarkt.

Bedeutet das das baldige Ende der expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank?

Zumindest wird das Volumen der Anleihekäufe im sogenannten OMT-Programm vermindert. Eventuell sogar stärker als bisher geplant, dafür aber zeitlich verlängert. Es läuft also vieles darauf hinaus, auch bei der Zinspolitik langfristig Veränderungen vorzunehmen.

Der IWF vertritt ja die Ansicht, die expansive Geldpolitik sollte fortgeführt werden, bis es sichere Anzeichen für eine Inflation gibt. Viele Menschen haben ohnehin schon seit Jahren das Gefühl, alles wird teurer. Täuscht das Gefühl?

Zur Messung der Inflation dient häufig die Preisentwicklung eines Warenkorbes, er umfasst mehr als 700 Einzelprodukte, Waren und Dienstleistungen. Auch wenn Einzelprodukte teurer werden, in der Summe gab es in den vergangenen Jahren nur eine schwache Inflation: 2013 waren es 1,5 Prozent, 2014 0,9 Prozent, 2015 0,3Prozent und 2016 0,5 Prozent. Nur mal zum Vergleich: 1992 waren es 5,1 Prozent.

Was ist das Gute an einer Inflation?

Eine leichte Inflation unterstützt das wirtschaftliche Wachstum, da in diesem Fall die Unternehmen – in Erwartung künftig steigender Preise – investieren und die Verbraucher konsumieren, vor allem wenn auch die Löhne steigen. Eine gewisse Inflation und ein entsprechendes Zinsniveau haben außerdem den Vorteil, dass sie den Notenbanken einen geldpolitischen Handlungsspielraum verschaffen. Bei einem Zinssatz von zwei oder drei Prozent kann die Notenbank einer Wachstumsabschwächung durch eine Zinssenkung begegnen. Bei einem Zinssatz von null Prozent ist der Handlungsspielraum dagegen schon sehr eingeengt. Zwei Prozent Inflation halten viele Ökonomen für positiv und hinreichend, um steuerungsfähig zu sein.

Und was, wenn die Inflation dann auf fünf oder sechs Prozent klettert?

Dann, aber eigentlich schon vorher, müsste natürlich gegengesteuert werden. Aber bis vor kurzem bestand ja eher noch die Angst vor einer Deflation. Im Übrigen sollte man die derzeitige Zinslage nicht so negativ sehen. Früher gab es beispielsweise einen Nominalzins von drei Prozent aber eine Inflation von vier Prozent. Real bekam ich auf mein Sparbuch also minus ein Prozent. Bei Null-Zins und Null-Inflation steht man besser da. Außerdem erleichtern die derzeit niedrigen Zinsen Kreditaufnahmen und Kredittilgungen. Auch im Bundeshaushalt werden viele Milliarden für die Staatsschulden gespart – das kommt am Ende wieder allen Bürgern zu Gute. Pro und Contra sind also vorsichtig abzuwägen.

In konjunkturell guten Zeiten wie diesen, so fordert der IWF, müssten wohlhabende Länder wie Deutschland, ihre finanziellen Spielräume nutzen und mehr investieren. Tut Deutschland hier tatsächlich zu wenig?

Die Idee ist gut. Zur rechten Zeit. In Deutschland kurzfristig stark zu investieren funktioniert aber nicht, weil wir die Baumaschine bereits ausgelastet haben. Es gibt kaum noch Kapazitäten, um den Wohnungsbau noch weiter voranzubringen, Schulen zu sanieren oder den Glasfaserausbau zu beschleunigen. Produktionskapazitäten und auch Handwerker sind ausgelastet und die Flexibilität, auf ausländische Kapazitäten zurückzugreifen ist offensichtlich noch nicht gut genug entwickelt. Investitionen sind gegenwärtig jedenfalls keine Frage des Geldes.

Wenn dem so ist – müsste dann nicht in Ausbildung investiert werden? Vor allem in die betriebliche Ausbildung, um für ausreichend Fachkräftenachwuchs zu sorgen?

Sie haben völlig Recht. Jetzt müsste in die Menschen investiert werden. Stichwort Digitalisierung. Die kann man nicht beschließen, die kommt sowieso. Aber die Ausbilder, ob in den Schulen, den Betrieben oder den Universitäten, sind darauf nicht hinreichend vorbereitet. Im gesamten Bildungssystem ist noch nicht angekommen, dass es darum gehen muss, die zukünftigen Entwicklungen zu antizipieren oder zumindest einen Planungshorizont im Umgang mit Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz zu entwickeln. Wenn also die Handwerksbetriebe derzeit ausgelastet sind, muss in die Ausbildung von Handwerkern investiert werden. Außerdem wäre jetzt die richtige Zeit, baureife Planungen zu entwickeln, die man in der nächsten Abschwungphase kurzfristig umsetzen kann. Das wäre Wachstumsstabilisierend. Wenn erst in der nächsten Wachstumsschwäche mit den Planungen angefangen wird, kommt deren Realisierung zu spät, um die dann gefährdeten Arbeitsplätze zu erhalten.

© Deutscher Bundestag, Götz Hausding, 18.10.2017