Foto: DBT/von Saldern

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EZB-Päsident Mario Draghi steht am Mittwoch Bundestagsabgeordneten in Sachen Geldpolitik Rede und Antwort. Auch Lothar Binding, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, hat durchaus Gesprächsbedarf.

n-tv.de: Was versprechen Sie sich von dem Besuch Draghis?

Lothar Binding: Zunächst einmal finde ich es eine richtige und notwendige Geste des EZB-Präsidenten, sich vor dem Europa-Ausschuss des Deutschen Bundestags den Fragen und Diskussionen der Abgeordneten zu stellen. In den letzten Jahren wurde viel übereinander geredet. Von daher schätze ich es positiv ein, wenn man nun miteinander redet. Ich verspreche mir eine konstruktive inhaltliche Debatte. Konkret geht es darum, Herrn Draghi mit den speziellen deutschen Problemen der anhaltenden Nullzinsphase, beispielsweise hinsichtlich der Altersvorsorge, Lebensversicherungen etc. zu konfrontieren – und ihm klar zu machen, dass das bewährte deutsche Drei-Säulen-System bei den Kreditinstituten auch weiterhin Bestand haben muss. Insbesondere die ausdrücklich nicht für die Finanzkrise verantwortlichen Genossenschaftsbanken und Sparkassen sollten auch künftig eine Chance hinsichtlich ihres Geschäftsmodells erhalten.

Wo sehen Sie besonderen Klärungsbedarf?

Besonderen Klärungsbedarf sehe ich insbesondere bei den zukünftigen Maßnahmen der EZB: Will die EZB das Anleihekaufprogramm über den März 2017 hinaus verlängern, und wie schätzt sie den bisherigen Erfolg ein? Warum haben die geldpolitischen Maßnahmen noch nicht zu einer spürbaren Wachstums-, Investitions- und Beschäftigungsverbesserung insbesondere in den südeuropäischen Staaten geführt? Ich möchte gern die Einschätzung von Herrn Draghi, welche politischen Maßnahmen – beispielsweise im Bereich der Fiskal- und Investitionspolitik – er für notwendig erachtet, um die geldpolitischen Instrumente der EZB zielführend zu flankieren.

Halten Sie Herrn Draghi für einen guten EZB-Präsidenten?

Da die EZB eine unabhängige Institution ist, möchte ich auch dem EZB-Präsidenten keine Schulnote verteilen. Herr Draghi hat mit seiner berühmten Aussage vor zwei Jahren, dass er alle Notwendige tun werde, um den Euro zu erhalten einen großen Beitrag zur Stabilität des Euro und der Eurozone geleistet. Das ist mit Sicherheit einer der großen Verdienste von Herrn Draghi. Allerdings bleibt er bislang eine Antwort schuldig, warum die die massive Ausweitung des geldpolitischen Instrumentenkastens durch das „quantitative easing“ noch nicht zu einer spürbaren Verbesserung der Beschäftigungs- und Wachstumssituation in den südeuropäischen Mitgliedstaaten geführt hat. Zudem verfehlt die EZB ihr 2-Prozent-Inflationsziel nach wie vor, da die Investitions- und Konsumnachfrage weiterhin viel zu gering ist. Hier erhoffe ich mir insbesondere durch die Aufstockung und zeitliche Ausdehnung des Europäischen Fonds für Strategische Investitionen bis 2020 einen Investitionsschub.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat der „Bild“ zufolge die Mitglieder des Finanzausschusses aufgefordert, Mario Draghi hart zur Rede zu stellen – besonders wegen der Nullzinspolitik der EZB. Werden Sie dieser Anregung nachkommen?

Aus meiner Sicht sind dies politisch gezielte populistische Äußerungen des deutschen Finanzministers, die nur einen Teilaspekt berücksichtigen. Was sind die Fakten? Aus Sicht der Sparerinnen und Sparer ist es auf dem ersten Blick verständlich, dass sie die Niedrigzinspolitik der EZB äußerst negativ bewerten, und sich höhere Zinsen wünschen. Dass Sparbücher, Tagesgeld- und Festgeldkonten kaum noch Rendite bringen, ist ein ernstzunehmender Kollateralschaden der EZB-Politik. Solche Wertverluste hat der Sparer aber nicht nur, wenn der festgesetzte EZB-Leitzins so wie derzeit bei null ist. Dieses Phänomen ist immer dann zu beobachten, wenn die Inflationsrate höher als der nominale Zins ist. Der Realzins wird negativ, und Sparer machen einen Verlust. Die aktuelle Situation für deutsche Sparer ist, dass sowohl die Sparzinsen als auch die Inflationsrate in Deutschland bei null bzw. nahe der Nulllinie liegen. Der Realzins ist also derzeit weder positiv noch negativ. Dieser Umstand ist misslich, aber in der deutschen Geschichte keineswegs eine Seltenheit. Seit 1967 machten die Sparer in mehr als der Hälfte des Zeitraums sogar Verluste hinsichtlich des Realzinses. In den ganzen 1970er-Jahren etwa haben die hohen Nominalzinsen nicht gereicht, um die noch höhere Teuerung auszugleichen, auch in den späten 1990er-Jahren war es ähnlich. Von daher ist ein negativer bzw. neutraler Realzins nichts Außergewöhnliches.

Zudem gibt es auch für Deutschland offensichtlich positive Effekte der EZB-Niedrigzinspolitik: Viele Bürgerinnen und Bürger haben dadurch Vorteile. Noch nie waren die Kreditzinsen für den Immobilienkauf und für Konsumentendarlehen so niedrig. Auch der deutsche Staatshaushalt wird entlastet, weil die Refinanzierungen am Kapitalmarkt sehr günstig sind. Unternehmen investieren, und es haben so viel Menschen in Deutschland Arbeit wie nie zuvor. Neben dem Ölpreisverfall wirkt die Schwäche des Euros gegenüber dem Dollar auf exportorientierte Unternehmen wie ein zusätzliches Konjunkturprogramm. Auch deshalb ist die Beschäftigungssituation in Deutschland ausgesprochen positiv. Mittel- bis langfristig ist es natürlich wünschenswert, dass der Zinssatz wieder deutlich positiv wird.

Wie viel Verständnis haben Sie für die ultra-lockere Geldpolitik der EZB?

Dass die EZB ihren gesamten geldpolitischen Instrumentenkasten nutzen möchte, um die Inflationsrate auf 2 Prozent anzuheben, dafür habe ich durchaus Verständnis. Die Notenbanken weltweit, beispielsweise in den USA, Japan, der Schweiz haben sich in dieser Frage nicht anders verhalten. Einer möglichen deflationären Entwicklung in der Eurozone muss entschlossen entgegengetreten werden. Allerdings kann auch eine noch so „ultra-lockere“ Geldpolitik nicht allein für Investitionen und Beschäftigung sorgen. Hier bedarf es flankierend weiterer zusätzlicher fiskal- und investitionspolitischer Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene, um Investitionen und Konsum anzuregen

Was muss Draghi anders machen?

Ich denke, dass die EZB mit der Nullzinspolitik und dem quantitative easing geldpolitisch alles versucht hat, um weitere Unternehmensinvestitionen anzuregen und deflationären Tendenzen entgegenzutreten. Die geldpolitischen Maßnahmen scheinen aber ausgereizt zu sein. Jetzt sind die Europäische Kommission auf europäischer Ebene und die Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene gefragt, durch eine gezielte Investitions- und Wachstumspolitik die geldpolitische Impulse zu ergänzen. Die Ausweitung des Europäischen Fonds für Strategische Investitionen ist hierbei ein richtiger Schritt.

Mario Draghi fordert die Politik – auch die deutsche – auf, Strukturreformen umzusetzen, um damit für mehr Beschäftigung und Wachstum im Euro-Raum zu sorgen. Damit werde es der EZB ermöglicht, die Geldpolitik wieder zu normalisieren.

Hier würde ich als erstes die Gegenfrage stellen, was Herr Draghi unter „Strukturreformen“ konkret versteht. Wenn es darum geht, Arbeitnehmerschutzrechte abzubauen und Unternehmenssteuern zu senken, dann würde ich diese Forderung ablehnen. Wenn Strukturreform aber hieße, neue Wachstums- Produktivitäts- und Investitionsimpulse zu schaffen und die Infrastruktur weiter zu stärken, dann würde ich dieser Forderung zustimmen.

Mit Lothar Binding sprach Jan Gänger

Quelle: n-tv.de (http://www.n-tv.de/wirtschaft/Draghi-bleibt-eine-Antwort-schuldig-article18736556.html)