1. Lesung des Regierungsentwurfs eines Jahressteuergesetzes 2010 (Bundestagsdrucksache 17/2249)

Rede Lothar Binding, 1. Juli 2010

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Damen und Herren,

heute morgen haben wir die Regierungserklärung von Bundes­wirtschaftsminister Rainer Brüderle gehört. Das lautstarke und zudem unangebrachte Übermaß an Eigenlob ist sicherlich nicht nur mir unangenehm aufgefallen. Und ich frage mich, wer denn nun recht hat: Bundeswirtschaftsminister Brüderle, der sich die konjunkturelle Entwicklung schönredet und tatsächlich zu glauben scheint, das sog. Wachstumsbeschleunigungsgesetz habe irgendetwas damit zu tun; oder seine Parteifreunde von der FDP, die sich mittlerweile gar nicht mehr gerne an ihre eigene  Mehrwertsteuersenkung für Hotelübernachtungen erinnern möchten und stattdessen neuerdings für „Steuervereinfachungen“ plädieren; und wo ist eigentlich der Parteivorsitzende Westerwelle und sein Steuerpapst Hermann Otto Solms, die wohl ihr eigenes neoliberales Mantra zu Steuersenkungen und Stufenmodellen mittlerweile selbst nicht mehr hören können.

Die FDP verkauft uns ihre Einsicht, dass derzeit keine Steuer­senkungen möglich sind, dreist als bahnbrechenden Erkenntnis­gewinn. Das ist etwa so, als behaupte man jahrhundertelang, die Erde sei eine Scheibe, um sich dann selber dafür auf die Schulter zu klopfen, dass man die Kugelform der Erde für sich entdeckt hat – aber manche sind ja offensichtlich auch mit kleinen Fortschritten auf dem Weg der Erkenntnis zufrieden.

Und schließlich konnte man ja auch überhaupt gar nicht wissen, dass wir uns mitten in einer schlimmen Wirtschafts- und Finanz­krise befinden, dass die Einnahmen von Bund, Ländern, Gemein­den und Sozialversicherungssystemen deutlich zurück­gehen werden, dass die Ausgaben der staatlichen Solidar­gemeinschaft zur Krisen­bewältigung stark ansteigen werden…

Statt Steuersenkungen stehen bei der FDP ab sofort also Steuer­vereinfachungen auf dem Programm. Wieder einmal ein neoliberaler Kurswechsel – kein Wunder, dass bei diesen permanenten „strategischen Neuausrichtungen“ – oder soll ich sagen: Zick-Zack-Kurs – auch letzte Spurenelemente politischer Führung verloren gehen, die die Bürgerinnen und Bürger ebenso wie kleine und mittelständische Unternehmen von der Bundesregierung in Krisenzeiten erwarten. Aber wahrscheinlich ist das auch wirklich zu viel verlangt, wenn CDU/CSU und FDP schon größte Mühe damit haben, das eigene verrutschte politische Koordinatensystem andauernd an die Realität anzupassen.

Deshalb verwundert es nicht, dass auch dem vorliegenden Gesetzentwurf von Schwarz-Gelb die übergeordnete politische Richtung, der Wille zur versprochenen Steuervereinfachung fehlt.

Wäre das Jahressteuergesetz 2010 nicht eine gute Gelegenheit gewesen, die zu Oppositionszeiten bis zur totalen Ermüdung Einzelner vorgetragenen Forderungen nach Steuer­verein­fachungen nun endlich wenigstens teilweise einzulösen?

Ich erinnere mich an die Vorwürfe des Kollegen Volker Wissing, die er bei der abschließenden Lesung des letzten Jahres­steuergesetzes 2009 am 28. November 2008 erhoben hat.

Ich zitiere:

„Sie verweigern Deutschland ein vereinfachtes Steuerrecht, mit dem man die Probleme lösen könnte. Aus dem Problem eines zu komplizierten Steuerrechts machen Sie einfach ein Zeitproblem. […] Die Menschen in Deutschland fühlen sich nicht wohl, vor allen Dingen nicht angesichts des Steuer­rechts, weil Sie die Menschen systematisch abkassieren und weil Sie sie mit einem viel zu komplizierten Steuerrecht drangsalieren und Wirtschaftsunternehmen lähmen.“ (Plenarprotokoll 16/191, 20644)

Wahrscheinlich wird sich insbesondere die FDP im Rückblick wirklich darüber ärgern, mit der Ausrichtung des Jahres­steuer­gesetzes 2010 nicht einen Schritt in Richtung eines „verein­fachten Steuerrechts“ getan zu haben – aber wahrscheinlich war sie einfach noch nicht so weit, die letzte Spitzkehre auf dem steuerpolitischen Zick-Zack-Kurs liegt ja auch gerade erst kurze Zeit zurück…

„Einfach“ klingt zunächst ja mal nicht schlecht; wer allerdings genauer hinsieht, wird wieder einmal enttäuscht, denn die vollmundige Ankündigung einer Steuervereinfachung hinterlässt leider keine erkennbaren Spuren im vorliegenden Entwurf des Jahressteuergesetzes 2010.

Aber vielleicht ist das auch besser so, wenn man sich den Schaden anschaut, den die schwarz-gelbe Lobbypolitik mit ihrem sog. Wachstumsbeschleunigungsgesetz, besser Wachstums­verhinderungsgesetz oder Schuldenaufbaugesetz oder Investitions­verhinderungsgesetz oder Einnahmeverzichtsgesetz oder einfach: Mövenpick-Gesetz, angerichtet hat.

Daher nochmals kurz zur Erinnerung und als Vorgeschmack darauf, was wir uns unter „neoliberaler Steuervereinfachung“ vorstellen können: Die FDP, die selbsternannte „Partei des Mittelstandes und der Leistungsträger“, hat in ihren langen Jahren der Oppositionsarbeit mit leichter Hand Steuerverein­fachungen und Bürokratieabbau versprochen – und führte quasi als erste Amtshandlung neue, unbefristete und kostspielige Ausnahmen ein, die Bürgern, Unternehmen und dem Finanzamt erheblichen Verwaltungsaufwand auferlegen. Diese neoliberale Klientelpolitik mit ihren Steuergeschenken an einen sehr kleinen Kreis von Begünstigten unter dem Deckmantel der Konjunktur-steuerung wirkt auf mich geradezu zynisch, wenn man sich die mittel- und langfristige Wirkung der Beschlüsse und die Konsequenzen der Einnahme­ausfälle für Bund, Länder und Gemeinden vor Augen führt. Man muss deshalb ja fast schon erleichtert sein, wenn die schwarz-gelbe Bundesregierung beim Jahressteuergesetz 2010 auf substantielle Steuerung verzichtet. Ich bin daher froh, dass sich der Gesetzentwurf auf die erforder­lichen gesetzlichen Änderungen und Anpassungen im Steuerrecht an Recht­sprechung, Verwaltungspraxis und Gemeinschaftsrecht beschränkt. Die Fachbeamtinnen und -beamten aus dem Bundesfinanzministerium haben in gewohnt gewissenhafter und sachkundiger Art und Weise gearbeitet, so dass wir heute über einen Gesetzentwurf mit einer Fülle einzelner Regelungsbereiche sprechen. Politische Brisanz findet sich nur dort, wo Themen mit politisch motivierter Klientelpolitik fortgesetzt werden.

Die große Bandbreite des Jahressteuergesetzes spiegelt sich u.a. in folgenden Regelungen:

·        Einführung einer Steuer­befreiungsvorschrift für ehrenamtliche rechtliche Betreuer, Vormunde und Pfleger;

·        Steuerbarkeit von Transferentschädigungen für den Wechsel eines Sportlers von einem nicht im Inland zu einem im Inland ansässigen Verein  (§§ 49, 50a, 52 EStG);

·        Aufhebung der zeitlichen Befristung der Regelung zur degressiven Abschreibung für Abnutzung (degressive Afa)

·        Gleichstellung gleichgeschlechtlicher  Lebenspartner­schaften im Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer und der Grunderwerbsteuer;

·        Anpassungen des Umsatzsteuergesetzes an EU-Recht und aktuelle Entwicklungen (z. B. Bekämpfung des Umsatz­steuerbetrugs bei der Einfuhr, § 5 UStG, und durch Erweiterung der Steuerschuldnerschaft des Leistungs­empfängers bei der Umsatzsteuer auf Lieferungen von Industrieschrott, Altmetallen und sonstigen Abfallstoffen sowie Leistungen von Gebäudereinigern, § 13b UStG).

Bei diesen zahlreichen gesetzlichen Änderungen entstehen auch viele Fragen. Ich möchte mich in diesem ersten Durchgang des Gesetzes darauf konzentrieren, einige dieser Fragen aufzuwerfen und unsere Überlegungen anzudeuten. Ich hoffe, dass die folgenden Beratungen des zuständigen Finanzausschusses und die Erläuterungen der Fachbeamtinnen und Fachbeamten aus dem Bundesfinanzministerium zur Klärung dieser Fragen beitragen können, so dass zumindest am Ende der parlamentarischen Beratungen ein Gesetz steht, das unser Steuerrecht ein kleines Bisschen einfacher und vielleicht sogar gerechter macht.

Regelungsbereich: Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnern mit Ehegatten im Erbschaft- und Schenkungssteuerrecht sowie bei der Grunderwerbsteuer

Der Entwurf des Jahressteuergesetzes 2010 sieht die Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnern mit Ehegatten vor (§ 15 Abs.1 ErbStG-E). Eingetragene Lebenspartner sollen künftig auch in Steuerklasse I aufgenommen werden; ehemalige Lebenspartner werden wie geschiedene Ehegatten in Steuerklasse II erfasst. Die Gleichstellung bezieht sich auch auf den Freibetragsregelung (§ 16 Abs. 1 ErbStG-E). Künftig soll auch bei Grundstücksübertragungen zwischen Lebenspartnern keine Grunderwerbsteuer mehr anfallen (§ 3 Nr. 4 GrEStG-E).

Die Arbeitsgruppe Finanzen der SPD-Bundestagsfraktion hatte für die Gleichbehandlung von Ehegatten und eingetragenen Lebens­partnern schon bei den Beratungen zur Reform der Erbschaft­steuer geworben – leider war die CDU/CSU damals noch nicht zu einer entsprechenden sinnvollen Lösung bereit. Das führte zu drei Steuerklassen, die nicht logisch definiert sind und deren Tarifstufen unerklärliche Sprünge aufweisen – erklärbar nur durch Klientelpolitik für eine kleine Gruppe von Erben mit einer Erbschaft zwischen 4 und 6 Millionen Euro. Die Zeche zahlen nun die Erben in der Steuerklasse II, also z.B. Geschwister, Nichten, Neffen. Alle für einen – den am Starnberger See.

Regelungsbereich: Verschonungsvoraussetzungen für Betriebsvermögen im Bereich der sog. „Optionsverschonung“

Das Jahressteuergesetz 2010 sieht auch eine Neuregelung des §13a Abs. 8 Nr. 3 ErbStG vor. Das in den Jahren 2008/2009 geschaffene Erbschaftssteuerrecht zielte bei der Vererbung von Unternehmen darauf, die Arbeitsplätze zu erhalten. Wir haben bei der Reform der Erbschaftsbesteuerung ein zweiteiliges Optionsmodell für die Besteuerung von Betriebsvermögen eingeführt, das dem Erben eines Betriebs viel Flexibilität bietet und Planungssicherheit bei der Betriebsfortführung ermöglicht. Zu den Grund­voraussetzungen für die Verschonung von Betriebsvermögen, d.h. also die Steuerbefreiung des Erben, gehören, dass der Erbe den Betrieb über einen bestimmten Zeitraum hinweg fortführt und die Arbeitsplätze – gemessen an der Lohnsumme – im Wesentlichen erhält. Die Wahlmöglichkeit in der Option 2 „Betriebsfortführung 10 Jahre“ sieht eine vollständige Befreiung des Betriebserben von der Erbschaftsteuer vor, der Verschonungsabschlag beträgt also 100 %. Dafür muss der Erbe strenge Kriterien erfüllen:

·        Der Betrieb muss 10 Jahre lang weitergeführt werden.

·        Die Gesamtlohnsumme nach Ablauf dieser 10-Jahres-Frist muss in der Summe 1000% der Ausgangslohnsumme erreichen. Diese Regelung ermöglicht dem Betriebserben einen flexiblen Ausgleich zwischen Jahren, in denen die Beschäftigung und damit die Lohnsumme ansteigen, und Jahren, in denen die Lohnsumme sinkt.

·        Der Anteil des Verwaltungsvermögens darf nicht mehr als 10 % des gesamten Betriebsvermögens betragen.

Steuererleichterung und Arbeitsplätze wurden durch die Optionsverschonung eng miteinander verkoppelt. Unsere Idee war also, das Unternehmensvermögen mit Blick auf den Erhalt von Arbeitsplätzen und die Unternehmensfortführung steuerlich zu entlasten, wenn im Zeitpunkt des Betriebsübergangs das Verwaltungsvermögen kleiner gleich 10 % des Betriebsvermögen beträgt, weil die Verwaltung eines großen Vermögens nur eine kleine Bedeutung für die Arbeitsplätze hat.

Bei der vorgeschlagenen Neuregelung im Jahressteuergesetz geht es um diesen letztgenannten Aspekt, genauer um die Anwendung dieser 10 %-Grenze auch bei Beteiligungen an Personengesell­schaften und Anteilen an Kapitalgesellschaften im Sinne des § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG. Sicherlich bietet das parlamentarischen Beratungsverfahren im Finanzausschuss die Gelegenheit, die Einnahmewirkungen dieser Regelung für die betroffenen Unternehmen und die Länderhaushalte zu verdeutlichen und zu bewerten, denen die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer zustehen.

Mit der Übertragung von Verwaltungsvermögen auf extra gegründete Untergesellschaften wurde nun diese Idee unterlaufen – was man nicht regelt wird gestaltet – Steuerberater sind erfinderisch. Auf diese Weise ließ sich bei der Obergesellschaft totale Steuerfreiheit für große Vermögen erreichen, auch wenn der Anteil des Verwaltungsvermögens deutlich höher war als ursprünglich geplant.

Ich bin froh, dass dieses „Schlupfloch“ durch das Jahressteuergesetz geschlossen werden soll. Dass solche engmaschigen Regelungen immer wieder not(!)wendig sind, verdanken wir dem phantasievollen Steuervermeidungsdrang der Bürgerinnen und Bürger – die sich anschließend über die Kompliziertheit der Gesetzgebung echauffieren.

Regelungsbereich Steuerbarkeit von Transferentschädigungen für den Wechsel eines Sportlers

Jahressteuergesetze haben sich mit vielen Detailregelungen für Steuerpraxis und -verwaltung den wenig schmeichelhaften Ruf eines häufig überaus „trockenen“ Gesetzgebungsverfahrens erworben, dem sich wohl nur überzeugte Steuerrechtler mit Genuss widmen.

Um diesen Eindruck – zumindest andeutungsweise – zu korrigieren, greife ich abschließend die Regelungen zur  steuerlichen Behandlung von Transferentschädigungen für den Wechsel eines Sportlers auf – etwa eines Fußballspielers. Eine fast „brandaktuelle“ Regelung, denn viele Profis nutzen die Fussballweltmeisterschaft als Bühne und wechseln während oder  nach dem Turnier ins Ausland und umgekehrt. Was macht also das Finanzamt, wenn ein verdienter Nationalspieler gegen eine Transferentschädigung seine Karriere bei einem Verein in der Bundesliga fortsetzen möchte?

Der Bundesfinanzgerichtshof hat entschieden, dass Transfer­entschädigungen für den Wechsel von einem ausländischen zu einem inländischen Verein nicht steuerbar sind. Diese Rechtsauffassung weicht allerdings von der Verwaltungspraxis ab, die vor dem Urteil des Gerichts Anwendung fand. Der Entwurf des Jahressteuergesetzes sieht daher vor, zu diesem Status zurückzukehren und solche Vergütungen an den früheren Verein im Ausland zu besteuern (§ 49 Abs. 1 Nr. 2g).

Ich hoffe, dass uns die Beratungen im Finanzausschuss Klarheit darüber verschaffen, wie Bundesregierung und Koalitionsfraktionen die widerstreitenden Rechtsauffassung von Finanzverwaltung und Finanzgerichtsbarkeit auflösen sowie die offene Frage des Rückwirkungsverbots der Regelung beantworten möchte.

Auf einem Feld allerdings, der Lobbyarbeit für Großunternehmen,  beweist die neoliberale Bundesregierung hingegen leider eine ebenso ärgerliche wie bemerkenswerte Ausdauer. Auch das Jahressteuergesetz 2010 dreht die Uhren bei der Unternehmensbesteuerung zurück, um Großkonzernen erneut Steuergestaltungsmöglichkeiten zu erschließen und das Steuersubstrat in Deutschland auszudünnen.

Wir sind auf die Beratungen gespannt.